DENKEN MACHT SCHLAU

Denkfallen sind kognitive Täuschungen und tun sich auf, wenn durch eine Problemsituation ein bewährter Denkmechanismus in Gang gesetzt wird, der mit der Situation nicht zurechtkommt. Naturgemäss geben sich kognitive Täuschungen nicht als solche zu erkennen und führen so zu Irrtümern, auf die wir immer wieder hereinfallen. Denkfallen sind mit optischen Täuschungen zu vergleichen, denen man allenfalls durch Anlegen eines Massstabs entgehen kann. So wie man Sinnestäuschungen oder Trugbilder durch Messgeräte entschlüsseln kann, lassen sich Denkfallen mittels Logik vermeiden. Wer sich wappnen will, muss die Warnzeichen erkennen und richtig deuten. Aus diesem Grund lohnt sich auch das Studium der wichtigsten Denkfallen.

DER TUNNELBLICK
Manchmal siehst Du den Wald vor lauter Bäumen nicht. Beim klassischen Tunnelblick geht der Blick nur geradeaus. Was um Dich herum passiert, bekommst Du kaum noch mit. Gerade im Studium ist dieses Phänomen weit verbreitet und sorgt regelmässig für Fehlurteile. Weil Dich der Tunnelblick unbewusst einschränkt, ist es schwierig, ihn zu entdecken oder zu verhindern. Du verlierst das grosse Ganze aus den Augen. Statt das Gesamtbild zu betrachten, ist Deine Wahrnehmung auf einen Teilaspekt beschränkt, der Rest wird ausgeblendet. Es ist, als hättest Du Scheuklappen auf. Gefährlich ist der Tunnelblick nicht nur, weil er die Wahrnehmung verengt und so zu falschen Entscheidungen führt. Diese Art »Filterblase« kann einen sich selbst verstärkenden Effekt haben. Betroffene steigern sich regelrecht in ihre Sichtweise hinein, sehen keine Möglichkeit mehr, ihr Studium abzuschliessen, da sie davon überzeugt sind, sie müssten alles je Gelesene wie auf Knopfdruck vortragen können, oder sie reden sich ein, ihre Bachelor- oder Masterarbeit entspreche nie und nimmer den Ansprüchen ihrer Hochschullehrer, so dass sie zum Beispiel nach fünf Seiten immer wieder von vorne beginnen. Weit verbreitet ist der Tunnelblick auch bei Autofahrprüfungen. Angstvoll verkrampfte Fahrschüler sind in ihrem Blickfeld eingeengt und magisch auf bestimmte Punkte wie den Gegenverkehr fixiert und kommen so von der Fahrbahn ab. Ähnliches lässt sich vom Blick des Elfmeterschützen sagen, der gleichsam magisch vom Torhüter angezogen wird, so dass er, statt sich eine Ecke auszusuchen, den Ball dem Tormann in die Arme schiesst.

SCHULD ABSCHIEBEN
Schuld sind immer die andern oder die Umstände. Schuld-Zuweiser und Ausreden-Künstler suhlen sich oft geradezu in ihrer selbst gewählten Opferrolle. Für alles, was ihnen widerfährt, suchen und finden sie die Schuld bei anderen. Für das betroffene Umfeld kann das mühsam, nervend und ärgerlich sein. Als Folge gehen Menschen zu diesen Personen früher oder später auf Distanz und meiden den Kontakt. Das oft unbewusste Einnehmen der Opferrolle kann verschiedene Ursachen haben. Ist man nicht selbst schuld, lässt sich in der eigenen Wahrnehmung auch nichts zu einer Besserung beitragen, also muss man nicht handeln. In der Regel sind es nicht die selbstsicheren Menschen, die sich als vermeintliches Opfer präsentieren. Mangelt es ihnen an Selbstwertgefühl oder Selbstbewusstsein, kann das Einnehmen der Opferrolle auch vom Verlangen nach Bestätigung und Anerkennung herrühren. Negative Gefühle werden oft auf andere projiziert, zum Beispiel die Lehrer oder Professoren an der Uni, indem diesen die Schuld für das eigene Versagen gegeben wird, damit die Ausreden-Künstler keine Verantwortung übernehmen müssen.

DIE OTHELLO-FALLE
In der » Othello-Falle«, einer Untersuchung von Wolfgang Hantel-Quitmann, wird am Beispiel von Shakespeares »Othello« dargelegt, wie Denkfehler funktionieren und wie sie zu umgehen sind. Offensichtlich hat Othello nicht das Gefühl, dass seine Frau Desdemona ihn liebt, wie er ist. Er steigert sich in einen Eifersuchtswahn hinein und bringt erst sie und dann sich selbst um. In der gängigen Rezeption ist Othello das Opfer einer Intrige geworden. Jago redet ihm ein, Desdemona habe eine Affäre mit dem gedemütigten Cassio. Aus Sicht der Denkfallen stellt sich jedoch vielmehr die Frage: Warum fällt er darauf herein? Er merkt, dass Jagos Geschichte nicht schlüssig ist. Doch aufgrund seiner Minderwertigkeitsgefühle und seines negativen Selbstkonzepts ist er überzeugt, seine Frau nicht verdient zu haben. Daher könne es auch nicht lange dauern, bis sie ihn verlasse. Die Intrige konnte greifen, weil sie Othellos Denken über sich selbst entsprach. Natürlich hätte er besser den Gedanken zugelassen, dass in seinem eigenen Denken etwas falsch sein könnte, als einem verinnerlichten Denkfehler nachzugeben, doch hätte er hierfür merken müssen, dass er sich in seinen Gedanken verrannt hat. Das Beispiel zeigt, wie sehr wir es gewohnt sind, unserer Wahrnehmung zu vertrauen, und deshalb glauben, was wir denken, entspreche der Wahrheit. Anders ausgedrückt, denken viele immer wieder dasselbe. Statt immer wieder alles neu zu überdenken, greifen wir auf alte Erfahrungen und vertraute Erklärungen zurück. Die Gefahr besteht darin, dass wir die Realität nur noch durch die Brille unserer Überzeugungen wahrnehmen. Es gibt die Redewendung: Dem Hammer ist alles Nagel. Das heisst, man stellt immer wieder das Gleiche fest, weil man die Überzeugungen schon in sich trägt. Oder anders: Wenn Du immer das Gleiche denkst, was Du schon immer gedacht hast, wirst Du auch immer das Gleiche bekommen, was Du schon immer bekommen hast.

Christoph Frei, Akademisches Lektorat, CH-8032 Zürich

Bild:
Le penseur de la Porte de l’Enfere (musée Rodin)