Verschwörungsideologien und Verschwörungsmythen

Das IGNORANZARGUMENT als Beispiel eines FORMALEN FEHLSCHLUSSES

FORMALE FEHLSCHLÜSSE eignen sich deutlich besser als INFORMALE FEHLSCHLÜSSE, falsche Argumente zu cachieren. Ihr Problem liegt darin, dass die formale Ableitung eines Arguments aus den Prämissen entweder falsch ist oder auf eine dritte, zumeist verschwiegene Kategorie abstellt. Natürlich ist es wichtig, auf Fehlschlüsse zu achten, um sie zu vermeiden. Trotzdem werden sich nicht ganz stimmige oder nicht völlig überzeugende Ableitungen immer wieder einschleichen. Dafür gibt es im Wesentlichen zwei Gründe.

ERSTENS:
Zum einen basiert jedes Schreiben, vor allem das wissenschaftliche, auf Annahmen und Hypothesen, die selbst nicht mehr begründet werden können. Keine wissenschaftliche Arbeit kann von Null anfangen und systematisch alles aus sich selbst heraus formal und informal logisch begründen. Hilfreich ist es freilich, die nicht weiter zu diskutierenden Hypothesen kenntlich zu machen. Beispielsweise sollte eine Arbeit, die sich der Systemtheorie oder des Konnektionismus bedient, dies auch explizit markieren, um die folgende Argumentation besser abzugrenzen. Dann kann ein Text auch besser beurteilt und bewertet werden.

ZWEITENS:
Zum andern ist Sprache für sich genommen nicht logisch. Sie ist das Produkt historischer Entwicklungen und führt ein Eigenleben. Der Sinn der Begriffe lässt sich nie eindeutig festmachen, weil er erst in Abgrenzung zu anderen Ausdrücken entsteht. Das macht Sprache prinzipiell zu einem instabilen Netz wandelbarer Bedeutungen und führt auch logische Argumentationen an ihre Grenze.

DAS IGNORANZARGUMENT
Diese Art des logischen Fehlschlusses arbeitet mit einer Beweislastumkehr. In diesem Sinne wird eine These für falsch erklärt, weil sie bisher nicht bewiesen werden konnte, oder umgekehrt, eine These wird für richtig erklärt, weil sie bisher nicht widerlegt werden konnte. Der Fehlschluss wird ohne Sachargumente gezogen. Der so Argumentierende sieht somit seine Ignoranz als hinreichend an für die Widerlegung bzw. Bestätigung einer These.

«Die US-Notenbank manipuliert den Goldpreis, weil die Fed ihre Unschuld nicht beweisen kann.»

Oder:

«Der Mensch kann nicht alles wissen und deswegen gibt es UFOs; deswegen wirkt die Homöopathie oder Bachblüten; deswegen gibt es die Seele und also auch Gott.»

Oder:

«Bill und Melinda Gates sind zusammen mit George Soros die Drahtzieher hinter der COVID-19-Pandemie, weil es ihnen nicht gelingt, diese Anschuldigungen zu entkräften.»

Logisch sind solche Argumente natürlich nicht. Wissenschaftlich kann die Abwesenheit von Beweisen nichts belegen. Allerdings handelt es sich hierbei um sehr auffällige Beispiele, wie sie zuweilen von sogenannten Verschwörungstheoretikern ins Feld geführt werden. – Argumente der Ignoranz schleichen sich, freilich besser versteckt und breiter verteilt, gern auch in längere Texte ein. Sie sind besonders arglistig, weil sie den Kern kritischen Denkens auszuhebeln versuchen und die Bringschuld für Beweise umkehren. Argumente der Ignoranz widersprechen zudem allen wissenschaftlichen Methoden. Mit der Abwesenheit von Gegenbeweisen etwas zu beweisen, würde beinahe jede Behauptung ermöglichen.

Christoph Frei, Akademisches Lektorat, CH-8032 Zürich

Bild:

Das Bildelement der Ein-Dollar-Note zeigt eine unvollständige Pyramide, über der das Auge der Vorsehung und der lateinische Schriftzug «Annuit coeptis», also «Er ist unseren Unternehmungen gewogen», prangt. Unterhalb befindet sich der Schriftzug «Novus ordo seclorum», zu übersetzen mit «Neue Ordnung der Zeitalter» – für viele Verschwörungstheoretiker ein wichtiger Beweis einer globalen Verschwörung des Illuminatenordens (lat. illuminati «die Erleuchteten») oder der Freimaurer.