Was sind #Denkfallen?

Logische Irrwege öffnen sich, wenn Problemsituationen ein bewährtes Denkmuster in Gang setzen und wenn das Denkmuster mit der Situation nicht zurechtkommt und so zu Irrtümern führt. Denkfallen bewirken kognitive Täuschungen. Als solche geben sie sich im Allgemeinen nicht zu erkennen, so dass man fast zwangsläufig auf sie hereinfällt. Ist der Argwohn freilich erst einmal geweckt, lässt sich der Reinfall vermeiden. So wie man optischen Täuschungen durch Anlegen eines Lineals entgehen kann, so lassen sich Denkfallen mittels Logik vermeiden. Wer sich wappnen will, muss die Warnzeichen erkennen und richtig deuten. Aus diesem Grund lohnt sich das Studium der wichtigsten Denkfallen.

A) JE SCHLECHTER, DESTO BESSER

Dass bei Zollkontrollen ziemlich viel Unappetitliches zu Tage tritt, ist wohl allen bekannt. Dieser Umstand wird vor allem von der Politik als Erfolg gewertet. Politiker gehen also davon aus, dass die aufgedeckten Verfehlungen für die Güte staatlicher Kontrollen sprechen. Durch die Entlassung von Kontrolleuren liesse sich allerdings der Erfolg der Kontrollen kostengünstig verbessern. Bei halb so vielen Kontrolleuren halbiert sich für den skrupellosen Händler das Risiko, erwischt zu werden. Oder anders herum: Bei gleichem Risiko kann er mit noch mehr Verfehlungen zusätzliches Geld verdienen. Die Erfolgsquote der verbliebenen Kontrolleure steigt. Die Lage wird schlechter, der Kontroll-Erfolg besser. Da heutzutage alles Mögliche evaluiert und in Ranking-Listen einsortiert wird, ist diesem Trend gegenüber ein gewisses Misstrauen angebracht, schliesslich sind objektive und manipulationsresistente Massstäbe rar. Das lineare Ursache-Wirkungs-Denken und die Überbewertung bestätigender Information sorgen für Blickverengung und für Trugschlüsse. Um beim Beispiel zu bleiben: Zwar spricht jeder aufgedeckte Fall von Zollbetrug für die Qualität der Kontrolleure, aber gleichzeitig auch für schlechte Zustände. Ein weiteres Beispiel für den Je-schlechter-desto-besser-Effekt ist die Qualitätsverbesserung durch Selektion. Verschärft die Landesregierung die Aufnahmebedingungen für Gymnasien, werden die durchschnittlichen Leistungen deutlich verbessert. Die Real- und Hauptschulen haben ebenfalls von der Massnahme profitiert; auch an diesen Schulen sind die Noten im Durchschnitt besser geworden. Die Opposition erwidert, dass kein Schüler durch die verschärften Aufnahmeprüfungen gefördert würde. Mehr Menschen würden von der höheren Bildung ausgeschlossen, zum Nachteil der Wettbewerbsfähigkeit des Landes. Diese zugespitzten Formulierungen treffen den Kern nahezu jeder Diskussion zur Schulpolitik. Beispielsweise brüstet sich Bayern mit den herausragenden Leistungen seiner Abiturienten. Gleichzeitig hat Bayern aber auch die niedrigste Abiturientenquote aller Bundesländer. Dieser Je-schlechter-desto-besser-Effekt ist auch als Will-Rogers-Phänomen bekannt: Nehmen wir einmal die durchschnittlichen Leistungen der Schüler einer Klasse als Evaluationsmassstab. Es möge zwei Parallelklassen geben, die in der Evaluation unterschiedlich gut abschneiden. Der Schulleiter sucht nun einen unterdurchschnittlichen Schüler der besseren Klasse aus, dessen Leistungen aber immer noch über dem Durchschnitt der anderen Klasse liegen. Der Wechsel dieses Schülers von der besseren zur schlechteren Klasse führt zu einer Verbesserung des Durchschnitts in beiden Klassen. Bei Hochschulrankings ist dagegen oft die mittlere Studiendauer der Massstab. Der scheinbar objektive Massstab kann indessen auch trügen. Angenommen Studierende einer Universität ziehen neben ihrem Studium Kinder gross oder gründen noch vor dem Ende ihrer Universitätskarriere eine Firma, so ist das ohne Studienzeitverlängerung nicht zu machen. Diese Studenten schlagen im Ranking als eigentliche Leistungsträger der Gesellschaft aber negativ zu Buche.

B) KAUSALITÄTSFALLEN

Kausalitätsfallen ergeben sich aus der festen Überzeugung, dass es für alles eine Ursache geben muss. Das Kausaldenken ist Grundlage der empirischen Wissenschaften und des freien Willens. Unsere Handlungen erfahren wir als Ursache dessen, was sich daraufhin entwickelt. Dasjenige, was von der getroffenen Entscheidung abhängt, ist die Wirkung. Ursache-Wirkungs-Beziehungen sind der Hebel, mit dem es uns gelingt, den Lauf der Welt in unserem Sinne zu beeinflussen. Die Kausalitätserwartung ist die Beziehung zwischen Ursache und Wirkung oder Aktion und Reaktion, sie betrifft also die Abfolge aufeinander bezogener Ereignisse und Zustände. Das eine verursacht das andere. Wenn beispielsweise eine junge Frau mit kurzem Rock ohne Strümpfe bei 3 Grad draussen herumgelaufen ist und am nächsten Tag krank wird, spricht man landläufig davon, dass das eine die Ursache des anderen sei. Das kann stimmen, muss es aber nicht, da man nicht weiss, ob die Frau auch krank geworden wäre, wenn sie dicke Wollstrümpfe getragen hätte. Die Ursache-Wirkungs-Relation ist vielleicht plausibel, zwingend ist sie nicht. Gleiches gilt für Raucher: Es stimmt zwar, dass Rauchen und Lungenkrebs korrelieren, dass Raucher also öfter daran erkranken als Menschen, die nicht rauchen. Ein Kausalzusammenhang ergibt sich jedoch nicht. Dieser wäre möglicherweise dann gegeben, wenn tatsächlich alle Raucher nach einer bestimmten Zeit und einer ebenso bestimmten Konsummenge an Lungenkrebs erkranken würden. Weil das aber nicht der Fall ist, besteht zwischen beiden Elementen auch kein kausaler Zusammenhang. Der häufige und ausdauernde Konsum von Ego-Shootern (sogenannte Ballerspiele) macht Jugendliche aggressiv und führt bisweilen zu Gewaltexzessen und Amokläufen. Nicht nur an Schulen, sondern auch in Politik und Medien ist das Thema lang und ausgiebig diskutiert worden. Beinahe durchgängig sassen die Kommentatoren der Verwechslung von Korrelation und Kausalität auf, wobei noch nicht einmal eine belastbare Korrelation zwischen Amokläufen und Computerspielen gezeigt werden konnte. Und dennoch wurde, in einer abenteuerlichen Vereinfachung der jeweiligen Situation, ein Element des Sozialverhaltens Jugendlicher für die Taten verantwortlich gemacht, verbunden mit Verbotsforderungen. Genaue empirische Untersuchungen könnten bestenfalls eine Korrelation ausmachen, die, wie sich vermuten lässt, auch nur die konkrete Art der Tat betreffen dürfte. Kausalität würde für diesen Fall bedeuten, dass der Jugendliche auch in ganz anderen Familienverhältnissen hätte aufwachsen können, andere oder keine Gewalterfahrungen hätte durchleben müssen, andere Freunde hätte haben können, aber in allen Fällen gälte: Wenn er Ballerspiele in einem bestimmten Mass spielt, wird er Amokläufer. Kurz: Kausalität würde bedeuten, dass alle Spieler, die ein gewisses Mass überschreiten, zwingend Amokläufer werden, eine typische Denkfalle.

C) DER KLASSIKER

Aus aktuellem Anlass zum Schluss noch ein wahrer Klassiker, was logische Irrwege und Denkfallen anbelangt. «Diese Eltern», heisst es in einer Kolumne von TICHYS EINBLICK, «gehören einer Generation an, die noch zu den Anhängern Maos gehörte – und die wiederum von ihren Eltern, die Stalin und Hitler begeistert gefolgt sind, (Anti)Dinge gelernt haben, die ihnen gar nicht bewusst waren. Die Biografie eines Jürgen Trittin sei als ein Beispiel unter vielen dafür genannt. So gesehen, hat die gesamte Greta-Story weder einen neuen Plot noch eine bemerkenswerte Handlung. Wenn da nicht dieses linkische Mädchen mit dem starren Blick wäre, das schamlos instrumentalisiert wird, wie das auch auf diesem Portal (i. e. TICHYS EINBLICK) schon hundertfach in Leserzuschriften bemerkt worden ist.» Hierbei handelt es sich um ein schulbuchmässiges «Argumentum ad hominem». In einer Diskussion fokussieren wir uns auf die Argumente und nicht darauf, ob wir unseren Gesprächspartner mögen oder nicht. Auf ein Argument für oder gegen eine These folgt entweder Zustimmung oder ein Gegenargument, wieder für oder gegen eine These. Leider ändert sich oft die Diskussion, wenn einer Seite die Argumente ausgehen. Dann wird nicht mehr in der Sache, sondern gegen die Personen der Gegenseite argumentiert. Das «Argumentum ad hominem», also das «Argument gegen den Menschen», hat die allgemeine Form:

«Person A hat den Makel B, folglich sind ihre Argumente falsch.»

Es ist unmittelbar einsichtig, dass das «Argumentum ad hominem» ein klassischer Fehlschluss oder eine Denkfalle ist. Der Makel B mag vorhanden sein. Aber wenn er keine unmittelbare Wirkung auf die Argumentation der Person hat, dann lässt sich daraus keine Richtigkeit oder Fehlerhaftigkeit der Argumente ableiten. Ob ein Argument richtig oder falsch ist, wird korrekterweise am Argument selbst festgemacht, nicht an der Person, die das Argument führt, auch wenn sie Greta Thunberg heisst!

Christoph Frei, Akademisches Lektorat, CH-8032 Zürich