Ein #Ghostwriter hilft Dir nicht weiter!

Ein Gespenst geht um an Schweizer Universitäten, und zwar in Form des akademischen Ghostwritings! Dies zumindest bestätigt ein Blick in die einschlägigen Foren der Studierenden, wo Unternehmen mit einem Stab von spezialisierten Mitarbeitern, aber auch Einzelpersonen recht unverdeckt ihre Dienste anbieten. Freilich fördert auch eine einfache Google-Anfrage eine ansehnliche Liste akademischer Söldner zutage, Einzeltäter wie Unternehmen mit versierten Lektoren und Redaktoren. Zu den Grösseren im Geschäft gehören «Acad-Write», «Hauck & Autoren» sowie «Ghostwriter.nu», die auf Anfrage auch gar nicht erst bestreiten, dass an Schweizer Hochschulen eine beachtliche Nachfrage nach ihren Dienstleistungen besteht. Am häufigsten würden Anfragen aus dem Bereich der Sozial- und Geisteswissenschaften an sie herangetragen. Kann das Zufall sein? – Natürlich nicht.
Gesetzt den Fall, Du studierst eine Wissenschaft, die induktiv, also empirisch, arbeitet und sich mit der Erforschung der Natur befasst, kannst Du nicht umhin, die Zustände und das Verhalten der Natur durch Methoden, die die Reproduzierbarkeit ihrer Ergebnisse sichern, zu analysieren. Nur so lassen sich Regelmässigkeiten erkennen, um zu objektiven Erkenntnissen über das Verhalten der Natur zu gelangen. Bei der Anwendung der Induktionsmethode wird aus der Untersuchung eines Phänomens auf eine allgemeine Erkenntnis geschlossen. Die empirischen Daten werden ausgewertet und auf allgemein beschreibbare Vorgänge untersucht. Liegen quantitative Messergebnisse vor, wird nach mathematischen Zusammenhängen der gemessenen Grössen gesucht. Mit anderen Worten brauchst Du empirische Daten, die kein Ghostwriter zu generieren in der Lage ist.

Aber auch in andern Studienrichtungen brauchst Du so etwas wie «Hard Facts». Vor einigen Wochen erhielt ich zum Beispiel eine Anfrage von einer Studentin für ein Lektorat einer Masterarbeit in Wirtschafts- und Rechtswissenschaften. Konkret handelte es sich um die Firma Novartis, die 2011 Alcon, ein Unternehmen der Augenheilkunde, als Wachstumsplattform und weiteres Standbein übernommen hatte. Nur sieben Jahre später trennte man sich allerdings in einem Spin-off von dem einstigen Hoffnungsträger. Konkret untersucht wurde die Frage, ob die unerfüllten Erwartungen an die Division Alcon und deren rückläufige Leistung zu einem Organizational Decline auf Konzernebene oder nur zu einem solchen auf Divisionsebene führten. Spezifisch sollten bei der Analyse des Fallbeispiels Antworten auf die folgenden Forschungs- und Leitfragen gefunden werden:

• Wieso hat Novartis Alcon akquiriert und welche Massnahmen sind ergriffen worden, als die Leistung von Alcon abnahm?

• Wie hat sich der Markt und die Konkurrenz von Alcon in den letzten Jahren entwickelt? Hatten diese ebenfalls
Schwierigkeiten oder erlebten sie sogar einen Aufschwung?

• Welche Voraussetzungen müssen zur Qualifikation eines Organizational Declines erfüllt sein und handelt es
sich bei Novartis aufgrund des Leistungsrückgangs der Division Alcon tatsächlich um einen solchen?

• Welche Turnaround Möglichkeiten existieren in der Theorie? Welche Möglichkeiten hatte Novartis
im Hinblick auf die Situation mit der Division Alcon und welche eigneten sich am ehesten?

• Weshalb haben die von Novartis ergriffenen Massnahmen nicht gefruchtet, beziehungsweise wieso
konnte Alcon die Erwartungen von Novartis nicht erfüllen? Was ist schiefgelaufen?

Wie sich unschwer erkennen lässt, ist die Beantwortung des Fragekatalogs aufwändig und bedarf der Bearbeitung vieler unterschiedlicher Einzelquellen. Deshalb habe ich nach dem Lektorat einen Ghostwriter kontaktiert mit Angabe der Eckpunkte der zu schreibenden Masterarbeit. Der Umfang sollte 90 Seiten betragen. Das Thema betraf ebenfalls den Spin off von Alcon. Nach etwas mehr als 8 Stunden erhielt ich ein Angebot: Die Ghostwriter Agentur hatte sich bereiterklärt, mir die ganze Arbeit für rund Fr. 7’400.- zu schreiben. Konkret lautete ihre Antwort:

«Sehr geehrter Herr Rüegg
Vielen Dank für Ihre Anfrage. Ihre Arbeit erstellen wir für CHF 7415.- Im Preis enthalten ist die vollständige Arbeit inklusive abschliessendem Korrektorat und der Plagiatsprüfung mittels Plag Scan. Wir starten mit einer Gliederung und drei Seiten, die wir Ihnen zum Feedback zusenden. Nach Ihrer Rückmeldung fährt Ihr Autor mit der Bearbeitung fort und wir liefern die vollständige Arbeit. Die Zahlung erfolgt bei uns in Teilzahlungen. Wir koppeln die Teilzahlungen jeweils an die Teillieferungen. Die 1. Teilzahlung ist bereits bei Auftragsbestätigung zu zahlen, die weiteren Zahlungen erst, nachdem Sie eine Teillieferung von uns erhalten haben. Wenn unser Vorgehen für Sie passt, erstellen wir im nächsten Schritt eine Auftragsbestätigung mit dem Thema, dem Umfang, dem Zeitplan und dem Zahlungsplan. Gerne erwarten wir dazu Ihre Rückmeldung.
Freundliche Grüsse
M.G.»

Klar ist, dass ein solches Angebot nicht imstande ist, detaillierte Forschungsarbeit zu leisten. Wer kann sich schon für 7’500 Franken eingehend mit den Fragestellungen auseinandersetzen, wenn diese noch nicht einmal feststehen. Aus diesem Grund ist es nahe liegend, dass Ghostwriter vor allem in den Sozial- und Geisteswissenschaften zum Einsatz gelangen, jedoch auch in diesen Gebieten nicht mit klaren Fragestellungen arbeiten und so auch keinen wissenschaftlichen Beitrag zu leisten vermögen. Ohne Forschungsfrage und deren Beantwortung dürfte eigentlich gar keine Arbeit von Universitäten akzeptiert werden!

Umgekehrt lässt sich natürlich auch folgern, dass nicht die akademischen Schreibsklaven einzelner Agenturen das Problem sind. Ohne dass weder Zubringerschulen noch Hochschulen das Problem über Arbeitsgruppen wie HSGYM zu entschärfen vermögen, wird sich am eigentlichen Sachverhalt nichts ändern. Für Thomas Nemet, Geschäftsführer von «Acad Write», ist denn auch klar, dass die eigentliche Ursache des Problems nicht beim Markt liegt. «Wir sind nicht das Problem», lässt er sich in der NZZ zitieren, sondern das Bildungs- und Universitätssystem. «Würde das Bildungssystem funktionieren, wäre Ghostwriting eine brotlose Kunst», folgert er zu Recht. Schliesslich gibt es keinen Markt ohne Nachfrage, aber auch keine Nachfrage ohne Markt. – Auch kein schlechtes Gewissen hat ein anonymer Ghostwriter in «Zeit Campus», dem zweimonatlichen Studentenmagazin des Zeitverlags, wenn er am 15. Juli 2018 zu Protokoll gibt: «Im Grunde sind die Geisteswissenschaften ein Bretterschuppen. Gäbe es übersichtliche Seminare, gäbe es echte Dialoge, würden die Dozenten ihre Studenten kennen, würden die Professoren die Arbeiten ihrer Studenten lesen, würde es echte Betreuungsverhältnisse geben oder irgendein Verantwortungsgefühl. Dann würde der Betrug mit Ghostwritern auffallen. Aber das tut er nicht, weil die Geisteswissenschaften chronisch unterfinanziert sind. Die Folge: Massiver Qualitätsverlust des Studiums, katastrophale Verwaltung und absurder Stellenmangel. Professoren, die einerseits in Verpflichtungen versinken und nicht zur Forschung kommen, sich andererseits aber wie Landesfürsten verhalten. Und Studenten, die nie dahin kommen zu verstehen, wie unglaublich wenig Ahnung sie in Wahrheit haben, weil sich niemand die Zeit nehmen kann, es ihnen zu erklären, und Nachwuchsforscher, die ahnungslos in düstere Zukunftsperspektiven gelockt werden.»

Christoph Frei, Akademisches Lektorat, CH-8032 Zürich

Hausarbeit vom Ghostwriter – der Undercover-Test