GERNE LERNEN

Warum nimmt die Motivation zum Lernen ab? Die meisten Schülerinnen und Schüler starten zwar motiviert in die erste Klasse, sind lernbereit und neugierig, doch ebbt die Anfangsmotivation zum Lernen in der Regel bereits nach kurzer Zeit wieder ab. Das ist insofern problematisch, als der Lernerfolg ohne Motivation ausbleibt.

Offenbar bewirkt das Schulsystem, das zum Lernen motivieren soll, meist das genaue Gegenteil. Gute Noten werden zum Mass aller Dinge. Das Muss eines möglichst hohen Bildungsabschlusses erzeugt Erfolgsdruck bei Kindern, Eltern und Lehrern. Leistungstests wie Querschnittsprüfungen, PISA oder Kompetenzmonitoring tragen ihren Teil dazu bei. Vor allem die Fixierung auf objektivierbare Testresultate birgt die Gefahr einer Reduktion des Bildungsverständnisses auf gut messbare und deshalb tendenziell eher primitive Lernziele. Im Sinne der «Bildungsstandards» also lieber Grammatik statt Aufsatz- oder Schreibtraining, auch wenn sie im Grunde nur wenig zur Förderung der Schreibkompetenz beiträgt. Fatal ist natürlich, wenn sie zum Selbstzweck wird, da Prüfungsergebnisse sich so einfacher korrigieren lassen.

«Bildungsstandards» sind Ziele oder Erwartungen, die für einen bestimmten Zeitraum gelten und deren Erreichung überprüft wird. Natürlich sind Leistungsziele in der Schule immer überprüft worden, wenn auch nicht mit Hilfe von Leistungstests, die auf Kompetenzstufen hin anlegt sind, so dass die Ergebnisse an den Auftraggeber rückvermittelt werden können. Als Kernidee stellt sich dabei heraus, dass sich Leistungen und Lernstandards immer nur gestuft abbilden lassen. Gestufte Leistungsbewertungen erscheinen plötzlich als Normalzustand, der sich mit der je erreichten Kompetenz objektivieren lässt. Bereits hier meldet sich ein stiller Vorbehalt, eine innere Skepsis dem weitverbreiteten Modebegriff «Kompetenz» gegenüber, der für alles herhalten muss, das irgendwie innovativ klingt.

Andererseits haben Jugendliche eine hohe Motivation, wenn sie Lerninhalte aus einem inneren Antrieb heraus verstehen wollen. Nur was sie wirklich interessiert, machen sie auch wirklich gern und gut. Für Lernforscher schafft diese sogenannte intrinsische Motivation die idealen Voraussetzungen zum Lernen. Das ist auch der Grund, warum Schülerinnen und Schüler Motivation nur bedingt lernen können, zumal sich echtes Interesse oder Begeisterung nicht aufoktroyieren lässt.

Allerdings können im Schulalltag diese Erkenntnisse kaum umgesetzt werden. Den Lehrpersonen fehlt aufgrund des straffen Zeitplans die Zeit, sich jedem Schüler einzeln zu widmen. So rückt die extrinsische Motivation durch Belohnungen und Noten in den Vordergrund, obwohl das langfristig den inneren Antrieb vieler Schüler schwächt.

Auch wenn das Lernen grundsätzlich nur über extrinsische und intrinsische Motivationsaspekte funktioniert, ist das Verhältnis der Komponenten zueinander entscheidend. Die intrinsische Motivation sollte für das Lernen die grössere Rolle spielen.

Wie also könnten Eltern helfen, ihre Kinder zum Lernen zu motivieren, und zwar über die ersten Grundschuljahre hinaus? Motivieren können Eltern nur, wenn sie sich für ihre Kinder engagieren, schliesslich sind sie die wichtigsten Bezugspersonen. (Einfach eine teure Nachhilfe organisieren und denken, das reiche, funktioniert somit nicht.)

Viel tragen Eltern zur Lernmotivation bei, wenn sie sich darüber Gedanken machen, wie sie ihr Kind langfristig zum Lernen animieren können. Die folgenden 10 Lerntipps sollen ihnen dabei helfen:

ERSTENS:
Schaffe ein gutes Lernklima. Fühlen sich Menschen wohl, sind sie eher motiviert, Neues zu lernen und Dinge anzugehen. Das geht nicht nur Jugendlichen so. Starte gut in den Tag, indem Du gemeinsame Zeit für ein einladendes Frühstück einplanst. Gesundes Essen, ausreichend Schlaf und Bewegung, ein aufgeräumter Arbeitsplatz und eine ruhige Lernumgebung helfen, konzentriert zu bleiben.

ZWEITENS:
Finde die richtigen Anreize. Formuliere Ziele, die Dein Kind zum selber Lernen motivieren. Wer gut in Biologie ist, kann später Tierarzt werden. Und ein zukünftiger Sprachurlaub überzeugt Dein Kind vielleicht, dass das Lernen von Vokabeln doch nicht so langweilig ist.

DRITTENS:
Mach die Schule nicht zum Hauptthema in der Familie. Frag vor allem nicht jeden Tag: »Was habt ihr heute in der Schule gelernt?« Das Zuhause sollte ein sicherer Hafen sein, in dem sich die Kids entspannen und vom Schultag erholen können. Fühlt sich Dein Kind gestresst, braucht es Ablenkung und schöne Erlebnisse. Machst Du Dir Sorgen oder willst Du mehr über den Schulalltag erfahren, so frage am besten in einem günstigen Moment. Interesse zu zeigen, ist immer gut, jedoch nicht ununterbrochen.

VIERTENS:
Immer wieder durchatmen. Pausen zwischen den Lerneinheiten sind wichtig, am besten bevor der Kopf brummt. Dabei hilft auch ein bisschen Bewegung, eine Frucht oder ein Schluck Wasser. So kann sich der Lernstoff besser setzen. Wenn dann noch genügend Zeit für Freunde und Hobbys bleibt, ist die School-Life-Balance richtig im Gleichgewicht, und die Lernmotivation steigt.

FÜNFTENS:
Fördere die Selbstbestimmtheit. Hat Dein Kind einen Lieblingsort zum Lernen oder ist es abends konzentrierter als nach der Schule? Prima! Überlasse Deinem Kind ruhig die Entscheidung, auf welchem Weg es die Lernziele erreicht. Das motiviert zusätzlich und stärkt das Selbstvertrauen.

SECHSTENS:
Du sollst nicht zum Ersatzlehrer Deines Kindes werden, zumal das die Beziehung belasten kann. Trotzdem kannst Du Anregungen geben, freilich ohne das Wort »Lernen« überzustrapazieren. Sprich vor allem mit Deinem Kind über aktuelle Themen, die nicht direkt im Zusammenhang mit der Schule stehen. Sei ihm ein guter Gesprächspartner und lies ihm vielleicht abends vor dem Schlafengehen etwas aus der Jugendromanreihe »Harry Potter« oder dem Roman »Die schwarzen Brüder« vor. Das fördert die Phantasie, aber natürlich auch die Sprache. Drittens weckt es das Interesse für Kunst und Literatur.

SIEBTENS:
Wenn nötig, so bringe Schulinhalte beiläufig in den Alltag ein: Rechnen beim Backen, geschichtliche Ereignisse über einen Ausflug an einen historischen Ort (zum Beispiel mit einer mittelalterlichen Burg) oder mithilfe aktueller Nachrichten, Englischvokabeln in Form eines Films oder Popsongs. Im Grunde kannst Du immer und überall üben. Ausflüge in die Natur oder Museen machen trockenen Schulstoff lebendig. Plane nach Möglichkeit Ausflüge mit der ganzen Familie.

ACHTENS:
Den Rücken stärken. Verdeutliche Deinem Kind seine Stärken und verschaffe ihm Erfolgserlebnisse, die möglicherweise in der Schule fehlen. Das stärkt das Selbstvertrauen. Gleichzeitig bringst Du ihm Wertschätzung und Anerkennung, unabhängig von Schulleistungen, entgegen. Auch wenn es schwerfällt: Vermeide möglichst regelmässig mit Fernsehen oder Computerspielen zu belohnen. Diese Art der Motivation wirkt nur kurzfristig. Kinder lernen dadurch nicht mehr aus eigenem Antrieb.

NEUNTES:
Lobe richtig. Immer nur für eine erfolgreiche Klassenarbeit zu loben, ist leider kontraproduktiv. Einen besonderen Motivationsschub gibt es jedoch, wenn Du Dein Kind für Dinge lobst, die es direkt beeinflussen kann. Zum Beispiel für eine schöne Zeichnung oder tatkräftige Mithilfe im Garten. Die Kids merken so, dass sie den Erfolg zuweilen auch selbst in der Hand haben. Sie lernen, nicht so leicht aufzugeben, aber auch, dass Fehler und Herausforderungen zum Erwachsenwerden dazugehören.

ZEHNTES:
Lernen braucht ein Ziel und einen Plan. Ein Lernplan oder eine Aufgabenliste schafft Anreiz, überhaupt mit Lernen zu beginnen. In einem Lernplan wird Tag für Tag festgelegt, was gelernt werden soll und wie man sich dafür belohnt. Auf einer «Learn-to-do-Liste» werden die Lernziele notiert und nach Erreichen abgehakt. Das motiviert, weil das Lernergebnis sichtbar wird.

Christoph Frei, Akademisches Lektorat, CH-8032 Zürich