#GYMIVORBEREITUNG 2023

Der Streit über das Für und Wider von Zensuren und Ziffernzeugnissen ist so alt wie das Schulsystem selbst. Befürworter argumentieren, dass Schulnoten Vergleichbarkeit schaffen und zu mehr Leistung motivieren. Viele Bildungsforscherinnen und -forscher sowie Praktikerinnen und Praktiker dagegen plädieren für alternative Formen der Leistungsbewertung, die individuell statt vergleichend sind und die die Lernentwicklung stärker berücksichtigen. Dass erfolgreiches Lernen auch ohne Noten möglich ist, zeigen zahlreiche Schulen in der täglichen Praxis. Da die Noten einen nicht geringen Anteil am Bestehen der ZAP ausmachen, scheint es nahezuliegen, wenigsten einen Versuch zu wagen und den Kandidatinnen und Kandidaten die Aufnahmeprüfung probeweise zu ersparen. Selbst der Zürcher Mittelschullehrer Philippe Wampfler vertritt in seinem Blog «Gymnasium in der Krise» die These, Selektion und Prüfungskultur würden den Spielraum verengen. Da an Gymnasien Lehrpersonen Schülerinnen und Schüler auswählen könnten, führe diese Macht der Selektion zu negativen Konsequenzen. Zum einen führe die Macht der Selektion zu homogenem Denken. Wer die Arbeits- oder Lernkultur an Gymnasien nicht mag, kann gehen. Kritische Lernende und Lehrende sind nur so lange erwünscht, wie sie das System nicht ändern wollen. Kritik auszuhalten, ohne sofort an die Möglichkeit der Selektion zu denken, ist nicht ganz einfach. Entsprechend verengt sich die Perspektive und es entsteht eine Kultur des Ja-Sagens. Sie ist nicht besonders gut sichtbar, die Macht der Selektion, weil Prüfungen die Lernkultur bestimmen und die Möglichkeit von Lernerfahrungen einengen. Was nicht geprüft werden kann, hat naturgemäss einen geringen Stellenwert. Werte und Kompetenzen von Lernenden würden zwar immer wieder diskutiert, heisst es im Blog, doch stehen sie im Schulalltag im Hintergrund, so dass dieser zu einem grossen Teil aus der Vorbereitung sowie der Verarbeitung von Prüfungen bestehe. Der Autor kommt zum Ergebnis, dass es ein Gymnasium ohne Fächer und ohne Noten bräuchte, ohne Stundenplan und ohne Kanon. – Solche Schulen zu gestalten, bleibt wohl eine Utopie.

Zugegeben, der Prüfungserfolg kann teilweise vom Besuch eines Gymikurses oder eines privaten Tutorings abhängen, wodurch trotz «Zentraler Aufnahmeprüfung» die Chancengleichheit in Frage gestellt ist. Dies ist sie jedoch in jedem Fall. Würde die Gymiprüfung abgeschafft, verlagerte sich das Grundsatzproblem einfach in die Probezeit. Hätten, wie der Gymnasiallehrer und Bildungsjournalist Andreas Pfister plädiert, alle nach ausgestandener Schulzeit einen Matura-Abschluss, käme es naturgemäss auf der Stufe Hochschule zur grossen Selektion, wobei wieder jene die besseren Karten hätten, die sich eine ausserschulische Unterstützung leisten können. Es gibt eben keine individuelle Gerechtigkeit, schon gar nicht in einer irrealen Klassengesellschaft, in der ein CEO einer Schweizer Grossbank trotz eines massiven Kursverlusts seiner Aktien und eines hängigen Gerichtsverfahrens von fast 5 Milliarden ein Salär von über 15 Millionen bezieht. «Die Gerechtigkeit wohnt in einer Etage, zu der die Justiz keinen Zugang hat», lautet ein Aphorismus des Schweizer Schriftstellers Friedrich Dürrenmatt. Da dem so ist, hältst Du Dich besser an meine Empfehlungen, liebe Schülerin, lieber Schüler, statt darauf zu hoffen, irgendeines fernen Tages ohne Aufnahmeprüfung in einem staatlichen Gymnasium aufgenommen zu werden.

WIE DU DIE AUFNAHMEPRÜFUNG AN EIN GYMNASIUM BESTEHST

A) DU HAST GUTE SCHULNOTEN
Egal, ob Du an eine Privatschule gehst oder nicht, Du brauchst gute Schulnoten, insbesondere in den Fächern, die bei der Aufnahme geprüft werden. Der Erfahrungswert liegt bei ±5 in den Prüfungsfächern, weil Du dann davon ausgehen darfst, dass Du zu den guten Schülerinnen und Schülern gehörst. Diese Schüler gehören eigentlich ins Gymnasium, vorausgesetzt, sie haben sich entsprechend vorbereitet.

B) DU KENNST DEN PRÜFUNGSSTOFF
So wie bei allen Prüfungen musst Du Umfang und Inhalt des zu prüfenden Stoffs kennen. Es macht zum Beispiel keinen Sinn, alle Wortarten in ihrer allgemeinen und besonderen Bedeutung zu büffeln, wenn das gar nicht geprüft wird.

Die Prüfungsanforderungen ZAP1 (das frühere Anschlussprogramm) für das Langgymnasium findest Du unter folgendem Link:
file:///C:/Users/sf05/Downloads/pruefungsanforderungen_lg.pdf

Maturitätsschulen. Prüfungsanforderungen Zentrale Aufnahmeprüfungen im Anschluss an die 2. und 3. Sekundarklasse (ZAP2/3/IMS). Änderungen; findest Du unter folgendem Link:
https://www.zh.ch/de/bildungsdirektion/generalsekretariat-der-bildungsdirektion/bildungsrat/suche-bildungsratsbeschluesse/2021-brb-08.html#-431387901

Eine etwas übersichtlichere Zusammenfassung als unter den Verordnungen der Bildungsdirektion findest Du, wenn Du zum Blog «Systemwechsel» meines Newsletters wechselst.

C) DU BEHERRSCHST DEN PRÜFUNGSSTOFF
Natürlich reicht es nicht, den Prüfungsstoff zu kennen, Du musst ihn auch beherrschen. Gesetzt den Fall, Du weisst, dass im Fach Mathematik bei den «Geometrischen Körpern» Definitionen und Eigenschaften geometrischer Körper (Würfel, Quader, Pyramide, gerades Prisma) vorausgesetzt werden und dass an den genannten Körpern Volumen- und Oberflächenberechnungen durchzuführen sind, dann musst Du auch in der Lage sein, die beschriebenen Operationen zu realisieren. Solltest Du bei den unregelmässigen Verben im Fach Deutsch Lücken haben, müssen diese geschlossen werden, zumal es sich hierbei um eine Sache handelt, die im Grunde jeder lernen kann. Vor allem das, was man lernen kann, musst Du beherrschen; schliesslich wird bei Aufnahmeprüfungen nicht stur der Stoff abgefragt. Anders ausgedrückt, musst Du den gelernten Stoff auch umzusetzen verstehen, was bedingt, dass Du in etwa eine Vorstellung hast, wie geprüft wird. Damit sind wir auch schon beim nächsten Punkt: Du musst den gelernten Stoff anzuwenden verstehen.

D) DU WEISST DEN PRÜFUNGSSTOFF ANZUWENDEN
Sicher weisst Du, dass es sogenannte Prüfungsarchive für die «Zentrale Aufnahmeprüfung» gibt. Dort findest Du Prüfungsaufgaben der letzten Aufnahmeprüfungen, geordnet nach Schultyp. Zu den Prüfungsaufgaben früherer Jahre und den dazugehörigen Lösungen gelangst Du über folgenden Link:

https://gymivorbereitung-zuerich.ch/tipps/alte-pruefungen#!/tab/41483554-1

Freilich helfen Dir die Lösungen allein noch nicht weiter, da Du ja nicht weisst, welche Note es für wie viele Punkte gibt oder wie zum Beispiel der Aufsatz bewertet wird. Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass Du mit der Zeit ein Gespür dafür entwickeln solltest, ob Dir die Probeprüfung gelungen ist oder nicht. Wichtig zu wissen ist freilich auch, dass die Aufnahmeprüfungen jeweils von einem Team ausgearbeitet werden. Da es sich hierbei, wie ich aus Erfahrung weiss, um eine recht aufwändige Arbeit handelt, wechseln die Teams nicht jedes Jahr von neuem. Dies bedeutet, dass Du mit Vorteil die letzten vier oder fünf Prüfungen am Schluss löst. Du wirst dann feststellen, dass die Prüfungen sich in ihrer Handschrift ähneln. Daher löst Du die alten Prüfungen zuerst und beginnst nicht gleich mit der letztjährigen Prüfung.

E) DU LÄSST DIR HELFEN
Wie ich vermute, hast Du sicher irgendwo eine Schwachstelle, vielleicht in der Geometrie oder beim Schreiben von Aufsätzen, die es aufzupeppen gilt. Solange Du nicht in allen Prüfungsfächern einen Coach oder Nachhilfelehrer brauchst, ist es keine Schande, wenn Du einen guten Gymikurs besuchst oder Dir von einer erfahrenen Lehrperson helfen lässt, möglichst mit Erfahrungen als Gymnasiallehrer. So jemand kennt nämlich auch die Innenseite der Gymnasien und weiss doch recht genau, wann ein Aufsatz beispielsweise die Bedingungen für eine genügende Note erfüllt.

F) LERNE FRÜH UND REGELMÄSSIG
Eine frühzeitige Vorbereitung ist unerlässlich. Mit der Prüfungsvorbereitung sollte mindestens ein halbes Jahr vor der Aufnahmeprüfung begonnen werden. Die Gratiskurse in der Schule sind oft ungenügend, Du gehst in der Masse unter, Du kannst nicht oder nur schwierig gezielt gefördert werden. (Ausserdem hat Dein Lehrer auch noch andere Aufgaben zu erfüllen, als möglichst vielen Schülerinnen ins Gymnasium zu verhelfen.) – Bei einem guten Gymikurs solltest Du erkennen können, wo Du im Vergleich zu den andern Kandidaten stehst. Daher sollten immer wieder Prüfungsaufgaben bearbeitet werden, damit Du das Gelernte anwenden und anschliessend echte Prüfungsaufgaben lösen kannst. Der Vorteil dabei ist, dass Du erstens ein Gefühl für Prüfungsaufgaben entwickelst und zweitens Dich selber prüfen kannst. Wenn Du demgegenüber mit einem einzelnen Coach Dich auf die Prüfung vorbereitest, setzt das voraus, dass Du nur in einem Fach nachlernen musst. Zum Beispiel in der Deutschen Grammatik und beim Schreiben von Aufsätzen. Der Vorteil eines solchen Coachings liegt auf der Hand: In einer 1 zu 1 Situation kann ein guter Lerncoach viel genauer auf Dich eingehen, um allfällige Schwachstellen aufzuspüren und Dir grössere Sicherheit bei schwierigen Teilen der Prüfung zu vermitteln. Erfahrungsgemäss trifft dies insbesondere auf die Mathematik oder den Aufsatz zu. Auch notentechnisch sind diese beiden Prüfungsteile von Belang. Ohne eine ansprechende Mathematiknote erweist es sich als recht schwierig, eine Aufnahmeprüfung zu bestehen, andererseits bedarf es nicht allzu viel, die Note für Mathematik in den Sand zu setzen. Umgekehrt ist es bei diesem Fach relativ einfach, mit nicht allzu grossem Aufwand eine genügende Note zu erzielen. Demgegenüber bedarf es für eine gute Aufsatznote einen ziemlich grossen Aufwand, doch lässt sich bei guter Übung ein Totalabsturz vermeiden. Das heisst, Du schreibt mit guter Übung eine 3.50 oder 4.00, fallierst aber nicht mit einer 2.00, was kaum mehr zu kompensieren ist. – (Vereinfacht erklärt, hängt das mit den möglichen Fehlerquellen zusammen. Bei einer Mathematikaufgabe musst Du vielleicht 4 oder 5 richtige Entscheidungen fällen, wohingegen beim Aufsatz praktisch jedes Wort, das Du niederschreibst, eine mögliche Fehlerquelle darstellt. Ausserdem ist der Aufbau der Mathematik axiomatisch, also unanzweifelbar und gewiss, während Sprache für sich genommen nicht logisch ist. Sie ist das Produkt historischer Entwicklungen und führt ein Eigenleben. Der Sinn der Begriffe entsteht erst in der Abgrenzung zu anderen Begriffen. Das macht Sprache prinzipiell zu einem instabilen Netz wandelbarer Begriffe.)

G) DU LERNST SELBSTÄNDIG UND GERN
Du musst motiviert sein und zeigen, dass Du die Prüfung bestehen willst. Andernfalls ist das Gymnasium nichts für Dich. Die Vorbereitung ist also mit einem Mehraufwand verbunden; daher hilft es, wenn Dich Deine Eltern unterstützen, ohne allzu grossen Druck auszuüben. Schliesslich wollen ja nicht sie ins Gymnasium, sondern Du.

Christoph Frei, Akademisches Lektorat, CH-8032

Bild:
Alte Kantonsschule, Zürich