MEIN BESTER TIPP FÜR DIE #PROBEZEIT

Manche Geschichten sind so schön, dass es gleichgültig ist, ob sie wahr sind oder nicht. Berühmten Zitaten geht es ebenso. Allen voran dem zum Klassiker avancierten: »Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.« Seit dem 6. Oktober 1989 führt der Satz ein Eigenleben. Er ist zum geflügelten Wort geworden. Zitiert man ihn, dann denken alle an den damaligen sowjetischen Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow und vor dem geistigen Auge erscheinen jubelnde Menschen auf einer Mauer zwischen West- und Ost-Berlin. Der Satz ermutigte unzählige DDR-Bürger im Oktober 1989 zum Protest gegen Erich Honeckers Regime. Heute wird er in allen Lebensbereichen zitiert. Dass der Satz so wörtlich nie geäussert wurde, tut dem keinen Abbruch. Was Gorbatschow damals wirklich zu Honecker sagte, lässt sich nicht mehr nachvollziehen. Das Sprichwort ist in der Grundaussage des rechtzeitigen Handelns zum eigenen Vorteil synonym zu »Der frühe Vogel fängt den Wurm.«

In dieser Form kann er natürlich auch auf die Probezeit übertragen werden, auch wenn sich niemand im Hinblick auf den Stoff wirklich auf sie vorbereiten kann. Allerdings weiss ich aufgrund meiner langjährigen Erfahrung, dass viele Schülerinnen und Schüler die Probezeit falsch einschätzen und deshalb am Ende scheitern. Bestätigt fühlen sie sich dadurch, dass zu Beginn nur wenige Prüfungen zu schreiben sind. Der Grund hierfür liegt im Umstand, dass praktisch alle Lehrerinnen und Lehrer zuerst einmal Stoff vermitteln müssen, bevor sie diesen auch prüfen können. In der Folge werden in den ersten drei Wochen vielleicht noch gar keine Prüfungen durchgeführt, dafür Informationsveranstaltungen, Gesundheitstage oder Schulreisen, damit die Klassen sich besser kennenlernen. Erst nach den Herbstferien und gegen das Ende der Probezeit nimmt die Häufigkeit der Prüfungen zu, wobei in der Regel so viele grössere Prüfungen zu absolvieren sind wie Wochenlektionen. Wer also zwei Lektionen Biologie und Geschichte in der Woche hat, muss wenigstens zwei grössere Prüfungen in diesen Fächern schreiben. Möglich, dass noch ein kleinerer Test zum Auf- oder Abrunden dazukommt, ein kurzes Referat oder eine mündliche Repetition, aber die Grundlagen für die Notengebung sind in der Regel die beiden Hauptprüfungen. Wirkliche Tiefnoten, und das betrifft auch andere Fächer, lassen sich deshalb kaum kompensieren. (Wenn Du fünf Biologiestunden verschläfst, bist Du vermutlich abgehängt, gleiches gilt für Geografie oder Mathematik. Mathematik und Französisch musst Du fortlaufend begreifen. Das heisst, Du musst Deine Unterlagen in Ordnung haben.)

Kurz gesagt: DER WIRKLICHE PRÜFUNGSSTRESS BEGINNT NACH DEN HERBSTFERIEN. Oft endet er zum Leidwesen vieler Schülerinnen und Schüler erst mit dem Abgabetermin der Noten Ende Januar und den anschliessenden «Aufnahmekonventen». Wer daher nie etwas vorgelernt hat, ist zum Schluss hoffnungslos überfordert, weil die zu bewältigende Stoffmenge einfach zu gross wird.

Viele Kandidatinnen und Kandidaten scheitern daher wegen Umstellungsschwierigkeiten oder falscher Zeitplanung.

Christoph Frei, Akademisches Lektorat, CH-8032 Zürich