Mr Teacher Man Frank McCourt und das fliegende Sandwich aus Brooklyn

Frank McCourt wurde als Sohn irischer Einwanderer am 19. August 1930 im New Yorker Stadtteil Brooklyn geboren. Während der Depression ging seine Familie zurück nach Irland in die Stadt Limerick. McCourt war damals vier Jahre alt. In «Die Asche meiner Mutter», einem Weltbestseller mit einer Auflage von über 6 Millionen Exemplaren, 1999 verfilmt durch Alan Parker, schreibt McCourt über diese Zeit: «Wir waren wohl die einzige irische Familie, die der Freiheitsstatue den Rücken kehrte, anstatt sie zu begrüssen. Wir gingen zurück nach Irland, wo es keine Arbeit gab und die Menschen vor Hunger und Nässe krepierten.» Francis McCourts Kindheit und Jugend waren von Armut geprägt. Sein Vater hatte selten einen Job und vertrank zumeist das Arbeitslosengeld. Später ging er nach England, um dort eine Anstellung zu finden, was zwar gelang, jedoch schickte er seinen Lohn nicht nach Hause. Frank als ältester Sohn sorgte nun gemeinsam mit seiner Mutter Angela für sich und die drei jüngeren Geschwister. Mit 19 Jahren hatte McCourt sich eine Schiffsfahrtkarte zurück nach New York zusammengespart. Dort arbeitete er zunächst in einem Hotel und ging dann zur Armee. Anschliessend konnte er aufgrund der GI-Bill, einem Bundesgesetz der Vereinigten Staaten, das die Weiterbildung für ehemalige Soldaten ermöglichte, in New York Englische Literaturwissenschaften studieren. Nach dem Studium war er insgesamt 30 Jahre als Englischlehrer tätig. Während der letzten 15 Jahre seiner Berufstätigkeit lehrte er kreatives Schreiben an der Stuyvesant High-School in New York. Er verstarb am 19. Juli 2009 in einem Hospiz in Manhatten.

«Die Asche meiner Mutter» fand zwei Fortsetzungen. Nach «Ein rundherum tolles Land» handelt der dritte Teil seiner Memoiren «Teacher Man», erschienen 2006 unter dem deutschen Titel «Tag und Nacht und auch im Sommer», von seinem Berufsleben als Lehrer sogenannter Problemkinder an der McKee Vocational and Technical High-School im New Yorker Stadtteil Staten Island. Dreissig Jahre lang hat McCourt unterrichtet, er hat zusammengerechnet 33’000 Stunden gegeben und vor etwa 12’000 Schülern gestanden. Eben Tag und Nacht und auch im Sommer. McCourt muss ein ungewöhnlicher Lehrer gewesen sein, nach dem zu urteilen, wie er in seinem dritten Buch sein Ideal vom Unterricht beschreibt.

So hat er zum Beispiel seine Schüler im Unterricht Kochrezepte vorlesen und sie die lyrische Qualität solcher Texte entdecken lassen. Die Klassen beginnen die Rezitation der Rezepte musikalisch zu begleiten und auf diese Weise der Sprache weiter nachzuspüren: Welche Instrumente passen etwa zu einem Pudding? Lernen, davon ist Frank McCourt überzeugt, ist nur ohne Angst möglich. «Ich glaube nicht», sagt er seinen Schülern einmal, «dass irgendjemand vollkommene Freiheit erlangt, aber was ich mit euch zusammen versuche, ist, die Furcht in die Ecke zu treiben.» Und er verschweigt daneben auch nicht seine persönlichen Höhen und Tiefen wie etwa das Scheitern seiner ersten Ehe oder die drohende Trunksucht während der Abfassung seiner Dissertation. Gerade dass er kein gutes Vorbild sein will, macht ihn zu einem sympathischen Lehrer. Leicht machten es ihm seine Schüler allerdings nicht. So will er etwa das Sandwich, das am ersten Tag seiner Lehrerlaufbahn von einem Schüler aus Brooklyn auf ihn zufolg, als Beweisstück kurzerhand aufgegessen haben, was ihm eine Ermahnung des Rektors und die Anerkennung der Schüler eingetragen haben soll. Frank McCourt hat dreissig Jahre lang vor dem schwierigsten Publikum, das man sich vorstellen kann, erprobt, was ankommt. Ob den amerikanischen Teenagern entgangen ist, dass sein Lehrertrick darin bestand, so zu tun, als gebrauche er keinen? – «Meine Schüler hörten mir zu», schreibt er über eine Szene, in der seine zunächst angewiderten Grammatik-Schüler den Satz «John ging in den Laden» als Ausgangspunkt für einen kreativen Wettbewerb über das Schicksal des Satzgegenstandes aufgreifen. Dieser John hat ein sehr bewegtes Leben, und auch der Lehrer zeigt sich bewegt: «Sie machten mit. Sie merkten nicht, dass ich ihnen Grammatik beibrachte.» So haut man Teenager übers Ohr, ohne gewalttätig zu werden.

Aber vor allem ist es ihm gelungen, mit Horden rüpelhafter Schüler fertig zu werden, die genau wussten, wie sie ihn, das Armeleutekind aus den Elendsvierteln von Limerick, zu nehmen haben. Und er lernte seinerseits, wie man an sie, die vermeintlich Unnahbaren und Unergründlichen, herankommen konnte: «Wenn man blafft oder schnauzt, hat man verspielt. Das kriegen sie andauernd von ihren Eltern und den Schulen im Allgemeinen, das Blaffen und Schnauzen.»

Bald merkt er, dass er sich mit ihnen verbünden muss, ohne freilich alles durchgehen zu lassen: «Ich begriff allmählich, dass Lehrer und Schüler gegenüber den Eltern, der Schulverwaltung und der Welt im Allgemeinen zusammenhalten mussten.» Niemand ausser seinen Schülern habe in dieser Zeit die geringste Notiz von ihm genommen, sagt McCourt. Vielleicht war gerade deshalb das Klassenzimmer für ihn der Ort höchster Dramatik. Grandios ist McCourts Schilderung, wie er eines Tages den Schülern seiner Klasse deren selbstverfasste Entschuldigungen für unerlaubtes Fernbleiben vom Unterricht vorlegt und von ihnen verlangt, nun auch «Eine Entschuldigung von Adam an Eva» oder wahlweise «Eine Entschuldigung von Eva an Gott» zu verfassen, womit er bei seinen Schützlingen eine Lawine der Kreativität in Gang setzt. Oder die Art, wie er sie Grimms Märchen lesen lässt und daran die Frage knüpft: Zu starker Tobak für arme Kinderseelen, oder nicht? «Dann sagte Lisa Berg etwas so Bemerkenswertes, dass schlagartig Stille eintrat. Sie sagte, Kinder haben so dunkles, tiefes Zeug im Kopf, dass es unser Fassungsvermögen übersteigt.» Als wollte McCourt uns mit seinen Memoiren genau das beweisen. Andersherum zeigt uns seine Lehrerbiografie, dass beliebte Lehrer wie er oder John Keating mit seinen unkonventionellen Methoden aus dem Film «Der Club der toten Dichter» sich bei Klassen grosser Beliebtheit, bei Vorgesetzten oder Schulleitungen sich jedoch nicht immer der gleichen Wertschätzung erfreuen.

Und woran liegt das? – Irgendwie traut man ihnen nicht über den Weg. Man glaubt, sie würden sich fauler Tricks bedienen, als ob das bei intelligenten, jungen Menschen funktionieren würde. Irgendetwas kann bei diesem Lehrertypus, der darüber hinaus sogar noch gerne unterrichtet, doch nicht stimmen. Würde man diesen Typus präferieren, müssten sich ganze Wahlgremien hintersinnen, wie es nur möglich ist, dass jemand bei Klassen auf ein positives Echo stösst, wo doch viele andere mit grossen Widerständen zu kämpfen haben. Nicht auszuschliessen, dass, wer die Schülerinnen und Schüler so wie Frank McCourt liebt, von ihnen als Lehrperson wo nicht zurückgeliebt, so doch sicher respektiert wird, zumal er sich ihnen als Mensch mit seinen Stärken und Schwächen zu erkennen gibt und umgekehrt die Schülerinnen und Schüler als Individuen mit all ihren Eigentümlichkeiten wahrnimmt und grosszügig über ihre vermeintlichen Unzulänglichkeiten hinwegzusehen versteht. Mit andern Worten ein sympathisch ohnmächtiger Lehrertypus, der auch mal keine Antwort auf eine Frage weiss: „Andere Lehrer stellen sich jeden Tag vor die Klasse und scheren sich einen Fiedlerfurz darum, was ihre Schüler von ihnen denken. Nur der Lehrstoff zählt. Solche Lehrer sind mächtig.“

Francis Frank Mc Court wollte als Lehrperson bestimmt nicht mächtig sein. Who doesn’t want to be a teacher after reading this, will never be either. – Für beides möchte ich ihm an dieser Stelle nachträglich meinen Dank aussprechen.

Christoph Frei, Akademisches Lektorat, CH-8032 Zürich