NOCH EINMAL: EIN NEUES #LEHRMITTEL

In seinem Newsletter vom Februar 2022 informiert der «Lehrmittelverlag Zürich» über seine neusten Publikationen. Besonders stolz ist man dabei auf den Erstleselehrgang nach der Silbenmethode. Das neue Deutschlehrmittel «Deutsch Eins» für die 1. Primarklasse, das auf Schuljahr 2022/23 erstmals erscheint, enthält nebst thematischen Inhalten auch einen Erstleselehrgang nach der für die Schweiz neuen «Silbenanalytischen Methode». Dadurch, dass diese die Silbe ins Zentrum stellt, wird versichert, können die Kinder von Beginn an die Strukturen und Regularitäten der geschriebenen deutschen Sprache entdecken. Die Silbenmethode, heisst es, gehe sehr schnell von der Laut-Buchstaben-Beziehung zur Silbe und zur Schrift über.

Indem die Silbe ins Zentrum gestellt werde, so der Newsletter, könnten Kinder von Anfang an die Strukturen und Regularitäten der geschriebenen deutschen Sprache entdecken. Die Kinder erschlössen sich die Silbenstruktur zu Beginn mit offenen, später auch mit geschlossenen Silben. Um interessierten Lehrpersonen einen ersten Einblick zu verschaffen, habe der LMVZ in Zusammenarbeit mit dem Volksschulamt und der PH Zürich einen Film entwickelt, der in kompakter Form in die Methode einführe.

Den Film können Sie hier anschauen:

Die von Christa Röber entwickelten Silbenanalytischen Methode unterscheidet sich somit von anderen Methoden des Schriftspracherwerbs dadurch, dass nicht Buchstaben und ihre Beziehungen zu Einzellauten in den Blick genommen werden, sondern Silben. Denn in ihnen spiegeln sich erstens Strukturen wider, anhand derer sich die Orthografie als System entdecken lässt. Zweitens kommt der Zugang zur Schrift über Silben den Wahrnehmungskategorien von Kindern bei Schuleintritt entgegen. Die sonst übliche Orientierung an Buchstaben und ihren Beziehungen zu Segmenten, die als Laute bezeichnet werden, wird in der Silbenanalytischen Methode zum Schriftspracherwerb als Irrweg gesehen, dem die falsche Annahme, geschriebene Sprache bilde gesprochene Sprache ab, zugrunde liege. In der didaktischen Diskussion um Konzepte zum Schrifterwerb ist die Silbenanalytische Methode nicht unumstritten, da ihre an der Sprachwissenschaft orientierte Darstellung orthografischer Strukturen als monoton, trocken und einengend, also als nicht kindgemäss, aufgefasst wird.

Handelt es sich somit bei der doch recht aufwändigen und komplizierten «neue Methode» um mehr als einen neuen didaktischen Ansatz? Diese Frage kann man sich stellen. Erfolgreiche Schülerinnen und Schüler haben zwar bisher die Orthografie auch ohne diese Systematisierung in den Griff bekommen. Den wenig erfolgreichen Regellernern blieb allerdings weiter nur das Memorieren oder das mechanische Üben. Der Unterricht konnte ihnen nicht wirklich helfen, Licht in ihr Chaos zu bringen, warum der Rechtschreibunterricht auch nicht sonderlich beliebt bei ihnen ist.

Naturgemäss gibt es keine belastbaren Studien, die beweisen oder widerlegen, ob eine Methode grundsätzlich geeignet ist oder nicht. Aus diesem Grund ist es auch falsch, einzelne Methoden zu verbieten oder vorzuschreiben. Die EINE METHODE, bei der alle Schülerinnen und Schüler ohne Probleme Lesen und Schreiben lernen und die alle Lehrkräfte ohne Probleme anwenden können, gibt es nicht. Vor allem im Anfangsunterricht sollten Lehrpersonen daher auf die folgenden Punkte achten:

ERSTENS:
Neugier und Interesse am Lesen und Schreiben müssen geweckt und erhalten werden. Kinder lernen Rechtschreibung mit dem Ziel, Texte lesen und verfassen zu können, mithin um zu kommunizieren. Mit dieser Fähigkeit verbunden ist ein Zugang zur Bildung. Lehrkräfte müssen diese Motivation am Lesen und Schreiben stärken.

ZWEITENS:
Da es ausserdem verschiedene Lerntypen gibt, ist zu beachten, dass manche Kinder eher kognitiv-analytisch begreifen, also indem man ihnen die Regeln vermittelt und gut begründet. Andere müssen die Wörter zuerst selbst lesen oder schreiben. Sie lernen eher intuitiv als analytisch. Lehrer sollten daher auch diesen Wahrnehmungskanal der Kinder pflegen.

DRITTENS:
Gibt es unterschiedliche Lerntypen, muss eine Lehrkraft in ihrer Klasse nach mehr als einer Methode unterrichten, sofern sie sich bei der Anwendung der Methoden sicher fühlt und sie zu ihrem persönlichen Unterrichtsstil passen. Letztlich ist jede Unterrichtsmethode nur dann gut, wenn der Lehrer sie in Übereinstimmung mit seinem Wissen über den Schrifterwerb effektiv einsetzen kann. Diesbezüglich von Belang ist die Tatsache, dass weder Lesen noch Schreiben lernen einfach und schnell geht, sondern Anstrengungen auf Seiten des Kindes als auch auf Seiten des Lehrers erfordert. Daher ist Übung unerlässlich. Wer macht schon Sport, ohne zu trainieren, und wer spielt ein Instrument, ohne zu üben? Nur an der Schule, so scheint es mir jedenfalls, glaubt man, ohne Übung auszukommen. Anders lässt es sich jedenfalls nicht erklären, warum so viele Schülerinnen und Schüler am Ende der 6. Primarschulklasse kaum je einen Aufsatz geschrieben haben, warum viele das Einmaleins nicht auswendig können oder nicht wissen, wie man die Zeit an einer Uhr mit Zifferblatt abliest.

Christoph Frei, Akademisches-Lektorat, CH-8032 Zürich

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