Wie lässt sich Schreiben verbessern, ohne zu schreiben?

Wie lernt man am besten Fussball-Spielen? Durch Fussball-Spielen natürlich. Sich einfach einen Ball nehmen und los geht’s! Doch was tust Du, wenn Du keinen Ball in der Nähe findest? Fussballprofis trainieren nicht nur mit dem Ball, sondern fördern auch Kraft und Schnelligkeit, indem sie joggen, ins Kraftraumtraining gehen oder Spielzüge des nächsten Gegners über Videoeinspielungen studieren. Genauso verhält es sich beim Schreiben: Du verbesserst es nicht nur, indem Du schreibst.

Sprache ist so wie auch Fussball eine Handlung. Also kannst Du sie nur verbessern, indem Du sprichst? Nicht ganz: Sprache lässt sich nämlich aufteilen in Mündlichkeit und Schriftlichkeit. Die Mündlichkeit wiederum in Sprechen und Zuhören, wohingegen die Schriftlichkeit sich durch Lesen und Schreiben unterscheiden lässt. So besehen, lässt sich Sprache in vier Felder aufteilen: Mündlichkeit, Schriftlichkeit bzw. die Mündlichkeit in Sprechen und Zuhören, wohingegen die Schriftlichkeit in Lesen und Schreiben.

Wie also lässt sich Dein Schreiben verbessern, ohne zu schreiben?

Da Schreiben nur einen Viertel der Sprache ausmacht, lässt sich dieses (das Schreiben) auch fördern, indem Du die andern drei Viertel trainierst, solltest Du für einmal keine Lust zum Schreiben haben.

Hier meine Schreibstil-Trockenübungen:

Wenn Du mal keine Möglichkeit oder keinen Schwung zum Schreiben hast, dann rate ich Dir zu den folgendem „Schreibstil-Trockenübungen“.

1) LESEN
«Viele Rezensenten», schreibt Ludwig Marcuse, «können schreiben, aber nicht lesen.» Gleiches gilt für Blogger. Sie schreiben und schreiben und schreiben und machen niemals eine Pause, um den eigenen Stil zu hinterfragen oder von anderen zu lernen. Ausserdem bilden sich viele Blogger nicht weiter. Sie wachsen nicht und bleiben jahrelang auf ihrem Niveau stehen. Offensichtlich haben sie keine Lust, sich zu verbessern. Auch lesen viel keine Bücher mehr. Sicher ein schlimmer Fehler, denn um ein guter Texter zu sein, brauchst Du zwei Arten von Wissen: ein generelles Wissen und ein spezifisches Wissen. Du musst also nicht nur wissen, wie man gute Texte formuliert, sondern brauchst auch Sachkenntnis, um interessante Blogs oder Artikel zu schreiben.

Diese zwei Arten von Wissen bekommst Du nur, sofern Du spannende Artikel und grossartige Bücher liest. Von nichts kommt schliesslich nichts. Und wenn Du liest, so achte auf Folgendes, um Deinen Schreibstil zu verbessern:

Was für Metaphern werden verwendet? Wird ein Problem besonders aussagekräftig beschrieben, dann merke Dir die Metaphern.

Wie beschreibt der Autor die Situation oder das Problem? Wie schafft er es, dass Du sogleich die Situation erfasst und das Problem verstehst?

Welche Wörter wählt der Autor? Welche Wirkung haben sie auf Dich, und wie kannst Du sie für Deinen Schreibstil nutzen.

Welche Sätze sind so schön, dass Du sie zwei Mal liest? Wie sind diese Sätze strukturiert? Welcher Satzbau liest sich besonders flüssig?

Was für Vergleiche wählt der Autor? Vergleicht er das Bloggen mit dem Fussball-Spielen? Vergleicht er einen guten Text mit einer Rutschbahn? Merke Dir die guten Vergleiche, und schreibe sie auf.

Wenn Du einen neuen Gedanken oder eine absolut neue Ansicht entdeckst, dann merke sie Dir. Dein Gehirn sollte ein Speicher voller Ideen sein – oder zumindest Dein Swipe-File.

2) ZUHÖREN
Kennst Du diese Menschen? Sie reden immer auf Dich ein, gehen aber nicht auf Deine Fragen ein und bleiben immer auf ihrer Welle. Wie ein Öltanker fahren sie unaufhaltsam durch das Meer der Unterhaltungen und interessieren sich nicht für ihr Umfeld. Viele schreiben genauso. Sie reden einfach auf ihr Publikum ein. Sie schreiben, was ihnen auf dem Herzen liegt, und schreiben, was sie denken. Ob es auch den Leser interessiert, scheint ihnen egal zu sein. Im Grunde schreiben sie für sich. Natürlich werden solche Menschen dann auch nicht gelesen. Wenn Du somit gute Texte schreiben willst, musst Du vor allem lernen, auf Dein Publikum zu hören und auf Deine Leser zu achten. Beachte dabei insbesondere Folgendes:

Ein Text ist wahrhaft gelungen, wenn der Leser sich darin wiedererkennt und bei jedem Satz innerlich zustimmt. „Ja, so ist es. Endlich spricht es einmal jemand aus.“ Diese Reaktion des Lesers erzeugt Verbundenheit und tiefe Emotionen. Freilich vermagst Du nur solche Texte zu schreiben, sofern Du die Interessen oder Bedürfnisse Deiner Leser kennst.

Was sind die Probleme und Bedürfnisse Deiner Leser?
Wenn Du ein dringendes Problem hast, dann liest Du besonders aufmerksam. Zurzeit bist Du vielleicht auf der Suche nach einem gelungenen Einstieg in Deine Hausarbeit. Deshalb liest Du jeden einzelnen Anfang ähnlich gelagerter Texte besonders genau. Nicht, weil die Autoren solcher Texte literarische Meisterwerke abliefern, sondern weil Du ein Problem hast und nach einer Lösung für den gelungenen Einstieg suchst.

Kenne somit Deine Leser und schreibe auf sie zu, nicht von ihnen weg, dann werden auch Deine Texte so aufmerksam gelesen wie lang erwartete Liebesbriefe.

3) SPRECHEN
Hörst Du Dir gerne spannende Redner an? Warum? Weil alle grossen Redner ihre Worte sorgfältig wählen. Sie machen Pausen, Akzente werden gesetzt, und jedes Wort wird auf die Goldwaage gelegt. Eine grossartige Rede ist die von Steve Jobs in Stanford, oder die Inaugurationsrede J. F. Kennedys. Ein anderer rhetorischer Meilenstein ist die Rede von M. L. King 1968 in Washington vor 200’000 Menschen mit dem berühmten, wiederkehrenden Satz: «I have a dream».

Du solltest Dir als Autor aber nicht nur Reden anhören, sondern auch selber mehr reden, sei es an der Uni im Seminar, unter Freunden beim Mittagessen oder zu Hause bei Deinen Liebsten.

Bald wirst Du merken, dass es gar nicht so einfach ist, immer die richtigen Worte zu wählen. Bist Du ein guter Redner, dann kannst Du auch so schreiben, wie Du sprichst. Ein letzter Tipp zum Schluss: Diktier doch mal Deine Texte, dann schreibst Du im Idealfall wirklich so, wie Du sprichst.

Alle guten Autoren, das um zu schliessen, sind aufmerksame Zeitgenossen. Das heisst, sie können gut beobachten. Schau mal von Deinem Handy-Bildschirm auf und beobachte die Menschen in der Bahn. Beobachte Menschen im Café. Beachte aufmerksam, wie sich Deine Kinder, Eltern und Freunde verhalten. Beachte aufmerksam die Naturvorgänge, die Menschen auf der Strasse, zumal aus dem sogenannt normalen Leben die besten Ideen entstehen.

Christoph Frei