So wirst Du beim Studieren Schiffbruch erleiden

Kritik von allen Seiten! Nur der Zürcher Mittelschulpersonenverband MVZ begrüsst es, dass der Bildungsrat nach dem Bundesratsentscheid rasch für Klarheit gesorgt und entschieden hat, ausnahmsweise auf die Maturaprüfungen zu verzichten. Du sicher auch, liebe Mittelschülerin, lieber Mittelschüler, und wer sollte es Dir verdenken, dass Du Dich darüber freust, ohne die endlose Plackerei zum ersten akademischen Abschluss zu gelangen. Ähnlich hast Du Dich vielleicht schon einmal gefreut, als Du den Brief Deiner Schulleitung in den Händen hieltest, der Dir mitteilte, dass Du die Aufnahmeprüfung bestanden hast. Nicht bedacht hast Du damals, und zwar zu Recht, dass mit dem Eintritt ins Gymnasium die Probezeit ansteht, in den oberen Klassen schwierige Fächer dazukommen, später noch eine Maturitätsarbeit verfasst werden muss und ganz zum Schluss nach vier oder sechs anstrengenden Schuljahren auch noch eine Abschlussprüfung zu absolvieren ist. Dass Du jetzt in Zeiten der COVID-19-Pandemie von der Maturitätsprüfung befreit bist, sei Dir gegönnt. Schliesslich hast Du lange genug bewiesen, dass Du in der Lage bist, auf gymnasialem Niveau dem Unterricht zu folgen. CONGRATULATIONS ON YOUR SUCCESS! – Dass DU KEIN GYMNASIAST BIST, hat Dir hoffentlich kein noch so verknöcherter Lehrer an den Kopf geworfen. Aber, die Frage sei erlaubt, bist Du auch ein Student? Dein Studium weiss nämlich nicht, was es will: Manchmal ist es wunderbar, oft anstrengend und nicht selten die reinste Vorhölle. Viele Studenten lieben ihr Studium und gehen voll darin auf; andere hassen jede einzelne Vorlesung und quälen sich von Semester zu Semester. Natürlich sind schwierige Phasen beim Studieren völlig normal. Zuweilen läuft es gut, manchmal eher weniger. Einige Abschnitte sind anstrengend und erfordern Durchhaltevermögen, und zu manchen Zeiten klappt alles wie geschmiert. Ein Problem hast Du erst dann, wenn Dich Dein Studium dauerhaft angurkt und Du beim ersten Gedanken an die Uni schlechte Laune bekommst. Damit es nicht soweit kommt, hier einige Empfehlungen für einen erfolgreichen Studienabschluss.

ERSTENS:
Du solltest nicht zu den Studenten gehören, die nur studieren, weil sie eine Matura haben und sonst nicht wissen, was sie machen sollen. Ein Studium ist keine Frage des Status! Ohne Ziel zu studieren, funktioniert nämlich nicht. Ohne zu wissen, warum Du Dich Tag für Tag an den Schreibtisch setzt, lernst und Vorlesungen besuchst, wirst Du auf lange Sicht nicht reüssieren. Anders ausgedrückt, brauchst Du ein klares Ziel, eine Strategie sowie eine gewisse Leidenschaft für Dein Studienfach. «Ich studiere Ethnologie, das klingt noch gut», läuft also nicht.

ZWEITENS:
Von Vorteil ist es sicher nicht, wenn Du nicht weisst, was Du mit Deinem Studium anfangen sollst. Erst mal studieren und dann weiterschauen, ist kein Plan. Trotzdem haben viele Studenten keine Ahnung, was sie nach dem Studium machen sollen. Sie studieren einfach drauflos, ohne das grosse Ganze im Blick zu haben. Daher studieren sie Indogermanistik oder Ägyptologie, sogenannte Orchideenfächer also, wie sie der frühere Bildungsdirektor Ernst Buschor, ein Wirtschaftswissenschaftler, abschätzig genannt hat. Bitte versteh mich jetzt nicht falsch: Du musst natürlich nicht ständig den perfekten Plan in der Tasche haben, solange Du wenigstens weisst, in welcher Stadt Du Dich befindest. Allerdings solltest Du ungefähr wissen, wo Deine Reise hingeht und was du erreichen möchtest.

DRITTENS:
Klar doch, haben wir alle unsere Stärken und Schwächen, schliesslich ist niemand perfekt. Manchmal müssen wir uns auch eingestehen, dass wir in einem Gebiet nicht gut sind und dort nie wirklich weiterkommen. Und manchmal müssen wir uns eingestehen, dass unsere Leistungen in einem kleinen Bereich nicht genügen, um auf einen grünen Zweig zu kommen. Indessen sollte es sich dabei nicht um eine Schlüsselkompetenz wie Sprache oder Mathematik handeln. Konkret würde ich Dir als schlechtem Deutsch-Schüler nicht empfehlen, Rechtswissenschaft oder Psychologie zu studieren. Solltest Du zu Beginn Deiner Unilaufbahn feststellen, dass Du Dich für einen Studiengang entschieden hast, der Dir nicht liegt, ist es nur ratsam, die Spur zu wechseln, bevor Du Dich komplett verrannt hast.

VIERTENS:
Vielleicht interessiert Dich der Stoff, aber das Studium selber langweilt Dich. Möglicherweise hast Du vor allem zu Beginn das ungute Gefühl, die Veranstaltungen an der Universität würden sich nicht wirklich vom Unterricht am Gymnasium unterscheiden. Das mag daher kommen, weil Du mit der Vorstellung die Mittelschule verlassen hast, Dein Studium gleiche einer atemberaubenden Wissensexplosion mit Feuerwerk und Hully-Gully. Natürlich ist das nur sehr selten. Grundsätzlich steht die Wissensvermittlung im Zentrum, und die hat eben wenig zu tun mit dem romantischen Bild des freigeistigen Studenten. In der Regel legt sich eine gewisse Anfangsfrustration im Verlauf des Studiums nach einigen Semestern. Erst wenn Dich Dein Studium nur noch langweilt und Du immer seltener die Seminare besuchst, Hausarbeiten verpennst und auch sonst nicht mehr mitarbeitest, sollten Deine Alarmglocken losgehen, weil Du Deine Zeit vergeudest.

FÜNFTENS:
Zu Deiner eigenen Überraschung hasst Du die Lehre. Die Art, wie an Hochschulen Wissen vermittelt wird, unterscheidet sich stark. Nicht nur im Hinblick auf das Gymnasium, sondern auch bezüglich einzelner Studiengänge. In einigen Fächern wie Medizin musst Du viel auswendig lernen und Faktenwissen draufhaben, in anderen wie Physik oder Philosophie sind Herleitungen und Verständnis gefragt. Für praktisch alle Fächer gilt jedoch, dass Du Dir den Stoff selber aneignen willst und nicht bei jeder nicht verstandenen Seite aus Heideggers «Sein und Zeit» den Professor fragen gehen kannst wie früher den Lehrer an der Kanti.

SECHSTENS:
Nicht auszuschliessen, dass Dir Deine Kommilitonen und Dozenten auf den Geist gehen. In jedem Studiengang gibt es Kommilitonen, die Dich nerven und bei denen Du Dich fragst, wie sie es wohl an die Uni geschafft haben. Genauso wirst Du Semester für Semester auf Dozenten stossen, die Dir nicht nur völlig unsympathisch sind, sondern die auch von Stoffvermittlung und Kommunikation keine Ahnung haben. Kommt wohl immer wieder vor. Sollten Dir freilich Deine Mitmenschen an der Uni ununterbrochen auf den Zeiger gehen und Du allein schon deswegen gereizt und unausgeglichen sein, ist es möglicherweise an der Zeit, einen Richtungswechsel ins Auge zu fassen.

SIEBTENS:
Du musst spüren, dass Du Dich weiterentwickelst. Einfach in Vorlesungen zu sitzen oder Seminare zu besuchen und ohne innere Anteilnahme darauf zu hoffen, dass Dir ein Licht aufgesetzt wird, hat schon am Gymnasium nicht geklappt. Und warum sollte es jetzt anders sein? Durch Dein Studium könntest Du ja auch über Dich hinauswachsen oder wenigstens weiterentwickeln, und zwar sowohl ich fachlicher wie auch in persönlicher Hinsicht. Spürst Du hingegen, dass Du Dich selber ausbremst und feststeckst, weil Du lediglich zum Pokern im Lichthof an der Uni erscheinst, bleibt Dir irgendwann nichts anderes übrig, als Dein Studium abzubrechen und einen anderen Weg einzuschlagen.

ACHTENS:
Wie oben ausgeführt, ist Dein Studium keine «Magical Mystery Tour» und auch kein Highlife. (Das meint man nur, wenn man zum ersten Mal die Uni betritt und auf die vielen Sonderveranstaltungen am Abend aufmerksam wird.) Willst Du erfolgreich studieren, so musst Du den Pelz schon nass machen. Durchwursteln wie am Gymnasium geht nicht. Gesetzt den Fall, Du machst immer nur das Nötigste und interessierst Dich nicht wirklich für die Themen, da sie Dich intrinsisch nicht motivieren, müsstest Du Dich neuorientieren und Dein Leben anders gestalten.

NEUNTENS:
Wenn Du spürst, dass Dich Dein Studium nicht erfüllt, weil es nicht Deinen Erwartungen entspricht, Du aber trotzdem das Gefühl hast, immer am Lernen zu sein, um den Stoff aus dem Semester zu schaffen, müsstest Du Dir überlegen, warum Du neben Deinem Studium kein Leben mehr hast. Ausseruniversitäre Interessen und Freundschaften werden vernachlässigst, bis Du zum Schluss nur noch prokrastinierst und in ein Burn-out läufst. Kurz, Du hast kein Leben mehr neben Deinem Studium. Ohne Interesse an Deinem Studienfach wirst Du es schwer haben, am Ball zu bleiben und Topleistungen abzuliefern. Also wirst Du, um im Bild zu bleiben, als Ersatzspieler von Real Madrid oder Bayern München auf der Bank sitzen bleiben.

ZEHNTENS:
Bist Du häufig so genannt krank, unmotiviert und schlecht gelaunt? Solltest Du Dich durch ein Studium quälen, das Dir nicht liegt und Dich physisch und mental überfordert, lässt sich nicht ausschliessen, dass Dein Körper irgendwann streiken wird. Du bist dann immer häufiger vergrippt, hast Kopfschmerzen und kannst schlecht schlafen. Ausserdem bist Du oft gereizt und verfällst in depressive Stimmungslagen, die Dich weiter runterziehen. Achte daher auf wiederkehrende Signale Deines Körpers, die nicht selten klüger sind, als es Dein Verstand je sein wird.

Jedes dieser 10 ANZEICHEN kann Grund genug für Dich sein, die Segel zu streichen und Dein Studium abzubrechen. Wenn Du Dich in mehreren oder allen Aussagen wiederfindest, dann solltest Du Dir Gedanken zu Deiner Studienlaufbahn machen und Deine aktuelle Situation wenigstens einmal hinterfragen, vor allem wenn Du bereits im Gymnasium ähnliche Erfahrungen gemacht hast. – Es mag auch sein, dass Dir das Gymnasium wie ein «Ponyhof» vorkam, ein Studium ist es nicht. Ein Studium ist so wenig ein «Wunschkonzert» wie ein späterer akademischer Beruf.

Schon lange weisst Du natürlich, dass es in jedem Studium harte und schwierige Zeiten gibt, Phasen, die Dich auf die Probe stellen und Dir alles abverlangen. Du wirst immer mal wieder unmotiviert, verzweifelt und überfordert sein – das ist normal. Ebenso wenig wird Dir entgangen sein, dass schwierige, anspruchsvolle Zeiten auch interessant und erfüllend sein können, wenn nicht für Dich, so doch für Andere. So gesehen, empfehle ich Dir, meinen Blogartikel morgen nochmals zu lesen. Vielleicht musst Du ihn auch drei Mal lesen, um zu einer Entscheidung zu gelangen, die für Dich passt.

Von einer etwas charmanteren Seite erklärt Dir der YouTube Star Dr. Mai Thi Nguyen-Kim im untenstehenden Clip, warum Du zum Beispiel NICHT Chemie studieren solltest. Du wirst wissen, wie’s gemeint ist.

Christoph Frei, Akademisches Lektorat, CH-8032 Zürich

Bild:
University of Oxford
Dominus Illuminatio Mea
Der Herr erleuchte mich, Psalm 27, 1