VERHANDELN – ABER WIE?

Aus eigener Erfahrung weiss ich, wie oft Privat- oder Nachhilfelehrer benachteiligt werden. Selber schuld! Kein Grund also, sich zu beklagen, zumal es sich lediglich um ein Erläuterungsbeispiel handelt. In der Regel werden Coaching-Situationen zwischen Schüler und Lehrer dadurch erschwert, dass bestehende Abmachungen nach und nach aufgeweicht werden, indem der Hauslehrer vom Vater oder der Mutter gebeten wird, seine Schülerin oder seinen Schüler auch noch in Geschichte, Geografie oder Biologie zu betreuen. Vielleicht befindet er oder sie sich ja gerade in einer Probezeit. Stellt der Nachhilfelehrer dann fest, dass er in fachfremden Fächern nicht nur helfen sollte, sondern im Grunde den ganzen Stoff aufarbeiten müsste, wächst der zeitliche Aufwand rasch in Bereiche, die sich mit der abgemachten Vergütung für die Einzel- oder Doppellektion nicht mehr vertragen. Da der Zusatzaufwand bei gleichbleibender Bezahlung nur für die Eltern der Schüler von Vorteil ist, sind Entscheidungsalternativen unter Verwendung neutraler Beurteilungskriterien zu suchen, um so einen Gewinn für alle Beteiligten zu schaffen.

Bei Verhandlungen im Alltag streben wir in möglichst kurzer Zeit tragfähige Lösungen an. Oft mangelt es jedoch an der notwendigen Verhandlungskompetenz, obschon überall verhandelt wird, schliesslich verhandeln bereits Kinder und möchten ihr persönliches Ziel rasch verwirklichen. Die Tochter wünscht mehr Taschengeld, der Sohn mehr Zeit für Computerspiele, und Ehepaare verhandeln, wenn unterschiedliche Vorstellungen über den Ferienort bestehen.

Hier kann das «Harvard-Prinzip» helfen. Hierbei handelt es sich um einen wichtigen Baustein bei lösungsorientierten Verhandlungen. Es erlaubt, auch bei scheinbar festgefahrenen Interessenkonflikten noch ein positives Ergebnis zu erzielen. Ziel des «Harvard-Prinzips» ist es, kommunikationsstrategisch Sach- und Beziehungsebene zu trennen, um so Interessen auszugleichen und Entscheidungsalternativen unter Verwendung neutraler Beurteilungskriterien zu suchen. So erhofft man sich, einen Gewinn für alle Beteiligten, kurz, eine Win-Win-Situation, zu schaffen. Hierzu erforderlich sind die folgenden drei Prinzipien:

ERSTENS:
Was zählt, ist die Sache, nicht die Person. Lasse Dich also nicht von der (mangelnden) Sympathie für Dein Gegenüber lenken.

ZWEITENS:
Was zählt, ist das gemeinsame Interesse, nicht die Position. Denke also nicht, ich bin in der inferioren oder superioren Position, oder unsere Kommunikationsabläufe sind nicht symmetrisch, sondern komplementär. Besser ist, Du fragst Dich, was braucht die Gegenseite von Dir? Und umgekehrt natürlich auch! Habt ihr also in der Sache gemeinsame Interessen?

DRITTENS:
Suche nicht eine beste Lösung, sondern eine richtige. Deine Strategie sollte nicht das maximal Möglich zu erreichen sein. (Perfektion ist schliesslich wie das Einhorn; jeder hat schon von ihm gehört, aber noch niemand hat es gesehen.) Halte daher neben Deinem Wunschverhandlungsziel bereits vor der Verhandlung einen Plan B in der Hinterhand. Dies nennt sich im Übrigen BATNA-Prinzip (Best Alternative to a Negotiated Agreement) – es bietet die beste Alternative, sollte es nicht zu einer Einigung kommen.

Historisch gesehen, gibt es zwei Verhandlungsschulen: Die eine geht davon aus, man müsse «hart» verhandeln und die Gegenseite «besiegen». Ganz im Sinne des alten ABBA-Songs: «The winner takes it all / And the loser has to fall.» Die andere empfiehlt «weich» zu verhandeln, um die Beziehung zum Gegenüber nicht zu belasten. Das «Harvard-Konzept» gehört sicher zur zweiten Schule. Sie empfiehlt ein kooperatives Verhandeln. Richtig verhandeln heisst hier, dass alle möglichst mehr bekommen, als sie sich ursprünglich erhofft hatten. Ziel der Methode ist somit eine konstruktive und friedliche Einigung in Konfliktsituationen mit einem Win-Win-Ergebnis. Die Methode geht über klassische Kompromisse hinaus. Im Vordergrund steht der grösstmögliche beiderseitige Nutzen, wobei über die sachliche Übereinkunft hinaus auch für beide Verhandlungsseiten die Qualität der persönlichen Beziehungen gewahrt bleiben soll, zumal im Idealfall beide davon ausgehen können: TO HAVE MADE A GOOD DEAL.

Christoph Frei, Akademisches Lektorat, CH-8032 Zürich

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