WARUM MAN MAGRITTES PFEIFE NICHT STOPFEN KANN

In seinen Wort-Bildern bedient sich der belgische Maler René Magritte der sprachwissenschaftlichen Theorien Ferdinand de Saussures und hinterfragt das komplexe System der Sprache. Er spielt in seinen Bildern mit der willkürlichen Verbindung von Gegenstand und Bezeichnung, um den Betrachter zum Nachdenken anzuregen und nicht nur alltägliche Gegenstände und ihre Namen, sondern auch die automatischen Mechanismen des Denkens zu hinterfragen. Passt der Begriff überhaupt zu diesem Gegenstand? Bekommt der Begriff «Pfeife» nicht etwas seltsam Fremdartiges, wenn man ihn mehrere Male vor sich hinmurmelt? Und handelt es sich nicht sowieso bei allen Bezeichnungen nur um eine Vorstellung des Bezeichneten? Anders formuliert ist im Sinne Saussures die «Arbitrarität» oder «Beliebigkeit» eine wesentliche Eigenschaft des sprachlichen Zeichens. Demnach ist es willkürlich, welche Zeichenfolgen einem Objekt zugeordnet werden. Saussure belegt seine These mit der Tatsache, dass ein und dasselbe Objekt von Sprache zu Sprache unterschiedlich benannt wird. Es gibt also keinen naturgegebenen Zusammenhang zwischen dem Wort «Pfeife» und dem Gegenstand, auf den es verweist.

Zwar denken die allermeisten Menschen deutscher Sprache bei dem Wort «Pfeife» an ein Rauchinstrument, in dem in einer Brennkammer Tabak verglimmt, wobei der dabei entstehende Rauch durch ein Mundstück abgegeben wird. Diese bildliche Vorstellung nennt Saussure Inhaltsseite oder «Signifikat». Die Ausdrucksseite oder der «Signifikant» des sprachlichen Zeichens ist die Kette von Lauten beim Sprechen des Wortes «Pfeife» oder die Kette von Buchstaben beim Schreiben. (Bisweilen wird das bilaterale Zeichenmodell mit einem Blatt Papier verglichen, deren beide Seiten untrennbar miteinander verbunden sind: Schliesslich lässt sich die Vorderseite nicht ohne die Rückseite zerschneiden.) Genauso wenig lassen sich Inhalt und Ausdruck voneinander trennen. Das sprachliche Zeichen gilt als Grundelement einer Sprache und macht Kommunikation zwischen Menschen überhaupt erst möglich. Laut Ferdinand de Saussure setzen sich Zeichen aus dem Lautbild und der Vorstellung eines Wortes zusammen. Sprachliche Zeichen kategorisieren somit Objekte oder Erfahrungen in ihrer Bedeutung, um Unterscheidungen zu treffen. Unter Zeichen versteht man nicht nur Laute, sondern auch geschriebene Worte, Gesten, Gebärden oder Symbole. Ohne Zeichen gäbe es keine Kommunikation, sie sind die Grundlage unseres Kommunikationssystems. Jedem Zeichen ist eine Bedeutung zugeteilt, die laut Saussure allerdings willkürlich oder arbiträr erfolgt. Für Saussure besteht die Sprache somit aus Zeichen, welche Ideen ausdrücken. Sprachliche Zeichen sind materielle Einheiten, die bestimmte Bedeutungen besitzen. Ein sprachliches Zeichen verbindet so die Vorstellung, die der Mensch von einem Symbol hat, mit dem Lautbild, das zu diesem Symbol gehört.

«Ceci n’est pas une pipe», das bekannte Wort-Bilder Magrittes, demonstriert dem Betrachter genau diesen Sachverhalt. Es ist eben nur eine gemalte Pfeife, keine echte, die sich anfassen liesse. «Ein Bild ist nicht zu verwechseln mit einer Sache, die man berühren kann. Können Sie meine Pfeife stopfen? Natürlich nicht! Sie ist nur eine Darstellung. Hätte ich auf mein Bild geschrieben, dies ist eine Pfeife, so hätte ich gelogen», sagt Magritte. Indem Magritte einen alltäglichen Gegenstand, auf dessen Bezeichnung wir ohne grosses Nachdenken zurückgreifen können, von dieser Bezeichnung löst und ihm eine andere verpasst, regt er zum Nachdenken an: Warum heisst ein «Tisch» eigentlich «Tisch» und nicht «Stuhl»? Warum denken wir bei der Buchstabenfolge «Tisch» alle ungefähr an das gleiche Objekt und nicht jeder an etwas komplett Verschiedenes?

Magritte wollte die Seh- und Sprachgewohnheiten im Betrachter seiner Bilder durcheinanderbringen. Dem Künstler sass der sprichwörtliche Schalk im Nacken und die unbändige Lust am Spiel mit Wörtern inspirierte ihn; eine Leidenschaft, die noch aus seiner dadaistischen Phase stammt, wo die Dekonstruktion der normierten Sprache im Vordergrund stand. Unsere Sprache ist ein fein verästeltes System mit vielen Hintertürchen und Stolpersteinen, und wir sollten sie nicht für selbstverständlich nehmen. Magritte wusste das.

Christoph Frei, Akademisches Lektorat, CH-8032 Zürich

Bild:
René Magritte
La Trahison des Images, 1929
Oil on canvas
Los Angeles County Museum of Art (LACMA)