WAS MACHT EINEN GUTEN #LEHRER AUS?

Der Lernerfolg der Schüler hängt vom Lehrer ab. Diese Erkenntnis einer Studie des Bildungsforschers John Hattie wird wohl kaum jemanden wirklich überraschen. Die britische «Times» nennt Hattie den einflussreichsten Bildungsforscher der Gegenwart. John Hattie hat Studien über Millionen Lehrer und Schüler rund um den Globus analysiert, um Antwort auf die Frage zu erhalten: Was ist guter Unterricht? Dass Kindern beim Lernen gute Lehrer helfen, klingt banal, ist es aber nicht. In einer Mega-Analyse räumt John Hattie mit einigen der Mythen der Schulpolitik auf. Um zu verlässlichen Daten zu gelangen, tat der Neuseeländer, was vor ihm noch niemand versucht hatte. Er sichtete sämtliche englischsprachigen Studien zum Lernerfolg und kombinierte sie zu einer Mega-Analyse. 20 Jahre hat das gedauert, 250 Millionen Schüler rund um den Globus waren beteiligt. Daraus entstand ein Buch mit dem Titel «Visible Learning». Seit 10 Jahren versetzt es die Bildungsforschung in Aufruhr. Noch heute ergänzen Hattie und sein Team ihre Erkenntnisse. Neu berücksichtigen sie auch deutschsprachige Studien. Natürlich hat Hattie nicht den «Heiligen Gral» der Bildung gefunden, trotzdem hat seine Studie ihren Teil dazu beigetragen, dass der Unterricht weltweit nicht schlechter geworden ist.

Als er an der Universität zu studieren begonnen habe, zitiert ihn die deutsche Wochenzeitschrift «DIE ZEIT» in ihrer Onlineausgabe vom 3. Januar 2013, sei ihm aufgefallen, dass alle, egal ob Professoren, Lehrer oder Eltern, eine Meinung vertreten hätten, wie Kinder besser lernen würden. Das Problem dabei sei nur, dass eben nicht Meinungen zählten, sondern messbare Evidenz. Praktisch jeder habe eine Studie vorgezeigt, die sein Anliegen stützte. Jeder glaubte, recht zu haben. Das habe ihn skeptisch gemacht. Aus diesem Grund habe er damit begonnen, Studien zu vergleichen. Dabei habe er sich nicht gefragt, was wirke, sondern was am besten wirke.

Die Antwort klingt banal: Nehmen wir die Lehrer, so sind jene gut, welche die Freude der Kinder für ein Fach wecken können. Und jene, die ein Talent in den Kindern sehen, von dem die Schüler nicht einmal selber wussten, dass sie es haben. Letztlich gehe es darum, Freude am Lernen zu vermitteln. Allerdings sprächen die Lehrpersonen lieber über die Struktur des Unterrichts, die neusten Methoden oder die Zusammenarbeit mit der Schulleitung. Und selbst wenn diese Punkte wichtig seien, interessierten sie ihn wenig bis gar nicht. Grundlegender sei, die Lehrer würden sich die Frage stellen, was sie bei ihren Schülern bewirkten. Dies sei doch überhaupt der Grund, Lehrer zu werden. Heute gehe es allerdings viel zu oft um Ressourcen oder um die neusten Lehrmittel, allenfalls um das, was gerade bildungspolitisch im Schwange sei wie zum Beispiel das selbstorganisierte Lernen oder die Merkmale von kompetenzorientiertem Unterricht. Offenbar glaube die Politik noch immer, Lernergebnisse mit Strukturreformen verbessern zu können, indem sie zum Beispiel den Schulbeginn ändert oder den Fächerkanon neu gewichtet.

Die Mega-Analyse des neuseeländischen Bildungsforschers hat in einer Studie mit mehr als 800 Meta-Analysen – die wiederum 50 000 Einzelstudien zusammenfassen – untersucht, was guten Unterricht ausmacht. Insgesamt waren an den Untersuchungen 250 Millionen Schüler beteiligt. Sein Buch «Visible Learning» liefert die umfangreichste Darstellung der Unterrichtsforschung. Hattie verbreitert seine Datenbasis ständig mit neuen Erhebungen. Er erkennt über 250 Einflussgrössen, bekannt als «Hattie-Ranking» oder «Hattie-Faktor». Sie geben einen Hinweis darauf, welche Faktoren das Lernen hemmen und welche es fördern. Lehrer können daraus entnehmen, dass sie wie Dirigenten eines Orchesters fungieren: Sie müssen den Takt angeben, das Tempo setzen und wissen, wohin sie mit dem Stück wollen. Ab einem gewissen Punkt sollten sie freilich für die Musiker den Platz räumen. Mit anderen Worten müssten sich die Lehrer zuweilen in ihrer Rolle als «Bus Driver» oder «Husky» durch die Schüler ablösen lassen, statt sich mit den falschen Fragen aufzuhalten. Lehrer müssen in erster Linie den Kindern helfen, dafür sind sie da. Entsprechend sollten sie auch auf deren Seite stehen und nicht die Interessen der Schulleitungen, Fachkollegen oder Eltern vertreten. Selbstverständlich sind die Schülerinnen und Schüler selbst verantwortlich für ihren Lernerfolg, das kann ihnen niemand abnehmen, jedoch müssen ihnen die Lehrerinnen und Lehrer das Werkzeug an die Hand geben, um überhaupt selbstständig lernen zu können. So betrachtet, reicht es eben nicht, am Anfang des Semesters ein Manuel über die Wortarten mit Übungen auszuteilen, um dieses in einigen Monaten wieder einzuziehen, damit man eine Note mehr für das Fach notieren kann. Schüler sind schliesslich keine Erwachsenen.

Was also können die Lehrer konkret für die Schüler tun?

ERSTENS:
Feedback ist nach Hattie ein mächtiges Mittel. Falsche Antworten sind nicht schlimm, sondern helfen beim Lernen. Allerdings konzentrieren sich die Schulen zu oft auf ein negatives Feedback. Wenn jemand gut war, erhält er keine Rückmeldung. Dies ist ein Fehler.

ZWEITENS:
Ausserdem müsse sich die Debatte über guten Unterricht ändern. Kinder lernen nicht allein durch zuhören, sondern dadurch, dass sie etwas tun und die Aufgaben selbstständig lösen. Gehe er in eine Schule und frage die Kinder, was einen guten Schüler ausmache, seien ihre Antworten erschreckend: Schülerinnen und Schüler glaubten, jemand, der pünktlich sei, oder jemand, der immer die Hausaufgaben löse, sei ein guter Schüler. Allerdings stimmt das so überhaupt nicht! Man müsse verschiedene Arten des Lernens beherrschen. Zuhören, diskutieren, recherchieren. Erst dann ist man ein guter Schüler.

DRITTENS:
Lehrer müssten drittens besser zusammenarbeiten. Sie sollten in die Lektionen ihrer Kollegen sitzen und schauen, ob die Schüler tatsächlich etwas lernen oder ob sie einfach nur zuhören. Leider möchten viele Lehrer am liebsten ihren Unterricht allein halten. Das ist freilich nicht gut genug. Lehrer müssen sich austauschen.

ZUSAMMENFASSEND lässt sich festhalten, dass Faktoren wie Lehrerfeedback, ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen Lehrkraft und Schüler, Leseförderung, regelmässige Leistungsüberprüfungen sowie lehrergeleiteter Unterricht sich positiv auf den Lernerfolg auswirken. Lehrerinnen und Lehrer müssen lernen, den Unterricht «mit den Augen der Lernenden» zu sehen und ihn entsprechend zu gestalten; dazu bedarf es der Entwicklung einer umfassenden Feedback-Kultur.

Andererseits schaden Faktoren wie Sitzenbleiben, übermässiges Fernsehen (oder Gamen) sowie Ferien über zwei Monate.

Wenig oder keinen Einfluss haben Faktoren wie Hausaufgaben, Klassengrösse, finanzielle Ausstattung oder altersdurchmischte Klassen. (Auf Hatties Ranking landet die Klassengrösse auf Platz 106.) Ausserdem seien die meisten Schüler mit zwei Fremdsprachen auf der Primarschulstufe überfordert. Französisch und Englisch in jungen Jahren sind für die meisten zu viel. Man könne sie zwar als Fächer unterrichten, doch würden die Schüler sie auch nach Jahren noch nicht beherrschen. So betrachtet, handle es sich um Faktoren, die wenig oder keinen Einfluss haben, weshalb sie denn auch aus Schülersicht als Leerlauf bezeichnet würden, ganz im Sinne des beliebten: «Was man nicht gelernt hat, kann man auch nicht vergessen.»

Insgesamt belegen Hatties Studien, dass sich die grössten Unterschiede im Lernzuwachs nicht zwischen einzelnen Schulen zeigen, sondern zwischen einzelnen Klassen, und das bedeutet: zwischen einzelnen Lehrern. Das ist Hatties zentrale Botschaft, die er aus dem Datengebirge zutage gefördert hat: Was Schüler lernen, bestimmt der einzelne Pädagoge. Alle anderen Einflussfaktoren – die materiellen Rahmenbedingungen, die Schulform oder spezielle Lehrmethoden – sind dagegen zweitrangig. John Hattie widerspricht so allen Ansinnen, den Lehrer im Unterricht zu marginalisieren. Für Hattie darf ein Lehrer kein blosser Lernbegleiter sein, kein Architekt von Lernumgebungen. Will er etwas erreichen, muss ein Lehrer sich vielmehr als Regisseur verstehen, als sogenannten «Activator», der seine Klasse im Griff und jeden Einzelnen stets im Blick hat.

John Hattie on Visible Learning and Feedback in the Classroom:

Christoph Frei, Akademisches Lektorat, CH-8032 Zürich

Bild:
Albert Anker, 1831 – 1910
Der Gemeindeschreiber, 1874
Oil painting
Private collection
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