Wie hängen Zusammenhänge zusammen?

«Korrelation» bedeutet nicht «Kausalität»! Wer das begriffen hat, liest die täglichen Nachrichten anders. Auch die Verlautbarungen von Politikern, Wissenschaftlern und anderen Experten im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie sind davon betroffen. Wichtige Fragen zum Virus und zur Krankheit fordern uns als Gesellschaft zwar heraus, aber wir wissen nicht, wie wir reagieren oder handeln müssen, solange keine Einigkeit besteht. Namhafte Forscher widersprechen einander in aller Öffentlichkeit, wissenschaftliche Studien werden zurückgezogen, weil sich deren Ergebnisse als falsch herausgestellt haben, Experten sprechen Warnungen aus, relativieren diese oder schüren Hoffnungen, weil sich die Situation von Woche zu Woche anders entwickelt, als sie erwartet haben. Es fragt sich, wer recht hat. Nicht auszuschliessen, dass alle falschliegen. Zweifel werden laut, ob die Wissenschaft überhaupt in der Lage ist, verlässliche Ergebnisse zu liefern. Diese Frage stellt sich freilich nicht erst seit der Corona Krise. Auch in der Klimadebatte kommt sie immer wieder auf. Natürlich sollten Wissenschaftler ihre Aussagen gegenseitig kritisch überprüfen. Um subjektive Verzerrungen zu vermeiden, muss die Interpretation der empirisch gewonnenen Einsichten deswegen aus verschiedenen Blickwinkeln erfolgen. Freilich ist dieser Vorgang nie abgeschlossen. Er kann jederzeit wiederholt werden und zu neuen Ergebnissen führen. Erst nach einer gewissen Zeit wächst das Korpus an Erkenntnissen, die als verlässlich gelten. Dieser Prozess dauert lange. Was wir somit im Hinblick auf Covid-19 erleben, ist nichts Aussergewöhnliches: In einer frühen Phase der Forschung ist es üblich, dass sich Wissenschaftler uneins sind. Trotzdem besteht aus erkenntnistheoretischer Sicht kein Grund, ihnen deswegen das Vertrauen zu entziehen, solange das Prinzip der kritischen Überprüfung nicht ausgesetzt wird. Absolute Gewissheit lässt sich allerdings selbst mit den besten Methoden und Verfahren nicht erzielen. Das ist nichts Neues, aber gerade in Zeiten der Pandemie sollten wir uns der Tatsache bewusst sein, dass wir uns erst ganz am Anfang der Erforschung des Virus befinden. Das bewahrt uns vor überzogenen Erwartungen an einen Impfstoff oder ein wirksames Medikament.

Mithin helfen hierbei auch keine logischen Unterscheidungen wie die eingangs erwähnte Differenz von «Korrelation» und «Kausalität». Logische Gültigkeit besagt eben nicht, dass die Prämissen wahr sind, sondern lediglich, dass logische Schlüsse gültig sein können, selbst wenn die Prämissen falsch sind. Logik ist ein hypothetisches Denken. Oder wie es Ludwig Wittgenstein formuliert hat: «Die Logik hat nichts mit der Frage zu schaffen, ob unsere Welt wirklich so ist oder so (…)» T § 6.1233. Die logischen Sätze handeln von nichts. Schliessen wir von einzelnen Fällen aufs Ganze oder von der Vergangenheit auf die Zukunft, so ist das vor allem aus formal logischer Sicht nicht zulässig. Trotzdem tun wir es jeden Tag.

Durch beobachtende Forschung können zwar Korrelationen oder Zusammenhänge identifiziert werden, aber Kausalität lässt sich nicht nachweisen. Eine Korrelation beschreibt eine Beziehung oder einen Zusammenhang zwischen zwei oder mehreren Merkmalen, Ereignissen oder Funktionen. Die Beziehung muss jedoch kein kausaler Zusammenhang sein. Demgegenüber liegt bei der Kausalität das Prinzip von Ursache und Wirkung zugrunde. Das bedeutet, es gibt eine Richtung. Weil Kausalität die Beziehung zwischen Ursache und Wirkung oder Aktion und Reaktion betrifft, bezieht sie sich auf die Abfolge aufeinander bezogener Ereignisse und Zustände. Das eine verursacht das andere. Konkret ist diese Form des Beweises deutlich schwieriger zu erbringen (oder eben gar nicht), weil ausgeschlossen werden muss, dass auch noch andere Dinge zur Wirkung geführt haben. (Fälschlicherweise wird der Nachweis eines Zusammenhangs mittels Statistik oft als Kausalität missinterpretiert.) Zum Beispiel ist der Schluss, Bergamo sei zum Epizentrum der Coronavirus-Pandemie geworden, weil Mitte Februar fast 44’000 Fans das Champions-League-Spiel zwischen Atalanta Bergamo und Valencia verfolgt haben, keine logische Kausalität. Es kann zwar zutreffen, die Ursache-Wirkungs-Relation ist vielleicht plausibel, zwingend ist sie freilich nicht. Allgemeiner ausgedrückt ist A die Ursache für die Wirkung B, wenn B von A herbeigeführt wird. Den exakten Nachweis zu erbringen, dürfte in diesem Beispiel allerdings schwierig sein. Mit 100-prozentiger Sicherheit lässt sich eine Kausalität auch in anderen Fällen nicht nachweisen. Dazu müsste die Sicherheit gewährleistet sein, alle möglichen «Mediatoren» berücksichtigen zu können. Ebenso wenig kann eine Ursache-Wirkung-Relation angenommen werden, indem man behauptet, das Corona-Virus verbreite sich südlich von Mailand besonders ausgeprägt, weil dort die Luftverschmutzung besonders stark sei. Auch hier handelt es sich lediglich um eine Korrelation wie im Satz «Maskentragen schützt vor einer Ansteckung.». Es stimmt zwar, dass das Tragen von Masken vor einer weiteren Verbreitung des Virus schützen müsste, ein Kausalzusammenhang ergibt sich dennoch nicht. Dieser wäre erst dann gegeben, wenn tatsächlich niemand, der eine Schutzmaske trägt, nach einer bestimmten Zeit am Corona-Virus erkrankt. Weil das aber nicht der Fall ist, besteht auch hier zwischen beiden Elementen kein kausaler Zusammenhang. Da mit 100-prozentiger Sicherheit sich auch in anderen Fällen keine Kausalität nachweisen lässt, streitet jetzt die ganze Welt über wirksame Massnahmen zum Schutz vor Corona. Am besten trifft unser Dilemma das Diktum des deutsche Philosophen Jürgen Habermas aus der «Frankfurter Rundschau» vom 24. April: «So viel Wissen über unser Nichtwissen und über den Zwang, unter Unsicherheit handeln und leben zu müssen, gab es noch nie.»

Christoph Frei, Akademisches Lektorat, CH-8032 Zürich

Vgl. hierzu auch: «Logik ist nicht Wahrheit» – Sternstunde Philosophie:
Ein Crashkurs mit Christoph Pfisterer

Bild:
Sokrates im Palazzo Massimo alle Terme, Rom
Foto: R. Jastrow