DAS #ANALOGE IM #DIGITALEN

Heraklit ist der «King of flow». Der alte Grieche hat das Zeug zur Silicon-Valley-Ikone, denn sein «panta rhei», seine Philosophie, dass alles in einem fliessenden Prozess des Werdens und Vergehens, dass «alles im Fluss» sei, gehört zur DNA des World Wide Web. Die Webkanäle leiten seit Jahren immer gewaltigere Informationsflüsse in neu entstehende digitale Territorien und lassen sintflutartig alte analoge Welten einbrechen. Der Hauptunterschied zwischen ANALOG und DIGITAL liegt in der Art und Weise, wie Informationen verarbeitet und übertragen werden. Um den Unterschied zwischen analogen und digitalen Signalen zu verstehen, ist es hilfreich, sich eine Uhr vorzustellen. Uhren sind allen vertraut, sie existieren in beiden Formaten: analog und digital. Analoge Uhren sind traditionell. Sie haben einen Stunden-, Minuten- und manchmal auch einen Sekundenzeiger. Die Zeiger bewegen sich stetig um das Zifferblatt herum. Die Position der Zeiger auf dem Zifferblatt repräsentiert die aktuelle Zeit. Die Zeiger bewegen sich in einem stetigen Fluss und können jede mögliche Position auf dem Zifferblatt einnehmen. Dies bedeutet, dass die Zeit auf einer analogen Uhr theoretisch unendlich genau abgelesen werden kann. Digitale Uhren hingegen zeigen die Zeit in numerischer Form. Anstatt eines stetigen Flusses von Bewegungen springt die Anzeige von einer Minute zur nächsten, ohne die Zwischenzeiten anzuzeigen. Bei einer digitalen Uhr kann die Anzeige nur bestimmte Werte annehmen. Im Gegensatz zu einer analogen Uhr, die eine theoretisch unendliche Genauigkeit hat, ist die Genauigkeit einer digitalen Uhr auf die kleinste Einheit beschränkt, die sie anzeigen kann (normalerweise eine Minute oder eine Sekunde). Digital bedeutet somit, dass etwas mit einer begrenzten Zahl von Ziffern dargestellt ist. Das wohl bekannteste digitale System ist das weit verbreitete Binärsystem, das lediglich aus den beiden Zeichen 0 und 1 besteht. Unser digitaler Alltag besteht also meist nur aus zwei einfachen Zuständen: ein oder aus.

Im Zeitalter der digitalen Transformation werden häufig analoge in digitale Signale gewandelt und umgekehrt. Zum Beispiel ist die menschliche Stimme analog, aber die gespeicherte MP3-Datei ist digital. Beim Abspielen über Lautsprecher wird sie jedoch wieder zu einem analogen Signal für unsere Ohren. Noch nicht erklärt sind damit freilich die Folgen der digitalen Transformation, zumal noch gar nicht genauer feststeht, was im eigentlichen Sinn die beiden Begriffe «DIGITAL» und «ANALOG» bedeuten.

Die digitale Welt ist gar nicht so neu, wie Du vielleicht glaubst. Das erste Binärsystem wurde von dem deutschen Philosophen und Mathematiker Gottfried Wilhelm Leibniz entwickelt, der von 1646 – 1716 lebte. Der Ausdruck «digital» leitet sich vom lateinischen Wort «digitus» ab, was übersetzt «Finger» bedeutet. Digitalität meint in der Technik, dass etwas mit einer begrenzten Zahl von Ziffern dargestellt ist. Digitale Technik verarbeitet und übermittelt Informationen mit Hilfe einer begrenzten Anzahl von Ziffern. Das wohl bekannteste Digitale System ist das weit verbreitete Binärsystem, das lediglich aus den beiden Zeichen 0 und 1 besteht. Diese liefern jeweils die Information, ob etwas ein- oder eben ausgeschaltet ist. Unsere digitale Lebenswelt besteht daher lediglich aus den Gegebenheiten: ein oder aus. Auf diesem System beruhen alle digitalen Geräte. Analoge Signale sind demgegenüber stufenlos und können theoretisch unendlich genaue Informationen vermitteln. Sie repräsentieren kontinuierliche Werte und können eine Vielzahl von Informationen besitzen. Ein Beispiel für ein analoges Signal ist die oben erwähnte Uhr, bei der der Zeiger auch zwischen zwei Einheiten stehen kann. (Anders formuliert, kennt die digitale Welt in ihrer Reduktion von Semantik auf Syntax nur ein JA oder NEIN, aber kein VIELLEICHT.)

Was also heisst digital? Digital ist, was nicht analog ist und umgekehrt ist analog, was nicht digital ist. Und der Unterschied ist Stetigkeit oder nicht. Analog wird abgebildet durch stetige Kurven, digital durch sogenannte Treppenkurven. Das Analoge im Digitalen meint, dass das Digitale nie allein auftritt. Würde das Digitale nämlich allein auftreten, wäre es für uns nicht erkennbar. Aus diesem Grund kann Digitalisierung auch nicht bedeuteten, dass am Schluss nichts mehr analog ist. Es gibt schliesslich nichts Digitales ohne Analoges.

Wenn wir unseren gegenwärtigen Zustand der Transformation betrachten, lässt sich unschwer feststellen, dass wir uns schon lange in einem Digitalisierungsprozess befinden, der im eigentlichen Sinn die oft beschworene ZEITENWENDE darstellt. Damit soll zum Ausdruck gebracht werden, dass möglichst alles digitalisiert wird. Nicht nur Bilder und Töne, sondern auch Meetings, Arbeitsabläufe oder Mitteilungen, ja selbst das Geld. Wer daher heute ein Lektorat eröffnet, mit dem Ziel, Studierenden beim Ausformulieren ihrer Texte zu helfen, wird feststellen, dass er kaum Anfragen für die Lektorierung von Texten erhält. Nicht nur weil die Studierenden die zu redigierenden Texte nach Rumänien oder Belarus schicken, sondern vor allem, weil sie über Textverarbeitungsprogramme verfügen, die jede Lektorats-Korrektur obsolet werden lassen. Weiter gefasst sind Volkswirtschaften, die nach wie vor bürokratische Abläufe nicht digitalisiert haben, hoffnungslos überfordert. Bestes Beispiel hierfür ist ein Arbeitsamt oder Jobcenter, bei dem die Antragssteller eine oder zwei Nächte darauf warten müssen, bis sie endlich am Schalter empfangen werden.

Christoph Frei, Akademisches Lektorat, CH-8032 Zürich

Bild:
Skulptur eines Dodekaedersterns nach einer Zeichnung von Escher; zu sehen auf dem Gelände der Universität Twente