DAS SPRACHKONZEPT VON NOAM CHOMSKY

Wilhelm von Humboldt, der preussische Staatsmann und bedeutende Sprachwissenschaftler des 19. Jahrhunderts, hat sich intensiv mit der Frage beschäftigte, wie Sprache das Denken und die geistige Entwicklung des Menschen beeinflusst. Dargelegt wird seine Auffassung am klarsten in seiner Schrift «Die Sprache und die Sprachen. Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues und ihren Einfluss auf die geistige Entwicklung des Menschheitsgeschlechts». In seinem posthum veröffentlichten Werk argumentiert Humboldt, dass Sprache nicht nur dazu dient, bereits vorhandene Konzepte und Gedanken auszudrücken, sondern dass sie auch das Denken und die geistige Entwicklung des Menschen selbst beeinflusst und prägt. Ausserdem betont er die Vielfalt der Sprachen und ihre Fähigkeit, unterschiedliche Sichtweisen und Konzepte auszudrücken, da jede Sprache ihre eigene innere Logik hat und die Welt entsprechend strukturiert. Diese Vielfalt der Sprachen ermöglicht es den Menschen, unterschiedliche Perspektiven auf die Welt zu entwickeln sowie verschiedene Konzepte und Ideen auszudrücken. Im Sinne Wilhelm von Humboldts ist Sprache daher etwas beständig und in jedem Augenblicke Vorübergehendes. Selbst ihre Erhaltung durch die Schrift ist immer nur eine unvollständige, mumienartige Aufbewahrung, die es doch erst wieder bedarf, dass man dabei den lebendigen Vortrag zu versinnlichen sucht. «Sie selbst», schreibt er, «ist kein Werk (Ergon), sondern eine Tätigkeit (Energia). Ihre wahre Definition kann daher nur eine genetische sein. Sie ist nämlich die sich ewig wiederholende Arbeit des Geistes, den artikulierten Laut zum Ausdruck des Gedankens fähig zu machen. Unmittelbar und streng genommen, ist dies die Definition des jedesmaligen Sprechens; aber im wahren und wesentlichen Sinne kann man auch nur gleichsam die Totalität dieses Sprechens als die Sprache ansehen.» In nuce wird hier bereits der Gedanke von Noam Chomskys «generativer Transformationsgrammatik» angesprochen. So wie Humboldt umschreibt auch Chomsky den generativen Aspekt der Sprache, indem er den Nachweis erbringt, dass Sprache einen «unendlichen Gebrauch von endlichen Mitteln» erlaubt. So erklärt sich, dass immer wieder neue, noch nie gehörte Sätze geäussert werden, woraus für Chomsky folgt, dass die Erlernung von Sprache sich nicht rein empirisch oder im Kontext eines behavioristischen Modells erläutern lässt.

Das Sprachkonzept von Noam Chomsky, bekannt auch als «Generative Transformationsgrammatik», bezieht sich auf seine Theorie der universellen Grammatik, die besagt, dass alle Menschen eine angeborene Fähigkeit zum Erwerb von Sprache haben. Chomsky geht davon aus, dass die menschliche Sprachfähigkeit nicht durch Erfahrung und Lernen allein erworben werden kann, sondern auch durch einen genetisch verankerten sprachlichen «Wissensschatz» im Gehirn ermöglicht wird. Daraus erklärt sich, dass wir als Kinder, gleichsam ohne es zu merken, Sprache lernen.

Chomsky argumentiert, dass alle Sprachen auf einer gemeinsamen Basis von Regeln und Strukturen aufbauen, die den Menschen angeboren sind. Diese Regeln und Strukturen sind das, was Chomsky als «universelle Grammatik» bezeichnet. Die universelle Grammatik umfasst eine Reihe von Sprachfähigkeiten, die allen Sprachen gemeinsam sind und die es Menschen ermöglichen, unbegrenzt viele Sätze zu generieren und zu verstehen. Chomsky beschreibt die universelle Grammatik als eine Reihe von Prinzipien und Parametern, die eine Sprache bestimmen. Prinzipien sind grundlegende Annahmen darüber, wie Sprache funktioniert, während Parameter spezifische Aspekte der Sprache regeln. Ein Beispiel für ein Prinzip ist die Regel, dass alle Sprachen ein Subjekt und ein Verb in einem Satz enthalten müssen. Ein Beispiel für einen Parameter ist die Reihenfolge, in der Subjekt und Verb in der «Tiefenstruktur» eines Satzes angeordnet sind, die von Sprache zu Sprache unterschiedlich sein kann.

Chomsky geht also davon aus, dass alle Sätze, die in einer Sprache generiert werden können, von einer begrenzten Anzahl von Regeln abgeleitet werden können. Diese Regeln werden in einer «generativen Grammatik» oder dem «kreativen Aspekt» einer Sprache abgebildet, die die möglichen Sätze auf systematische Weise generiert. Chomskys Sprachkonzept nimmt daher an, dass allen Sprachen eine «generative Grammatik» eingeschrieben ist und dass die Sprachfähigkeit der Menschen darin besteht, diese Grammatik zu kennen und anzuwenden.

Die generative Grammatik besteht somit aus einer Reihe von Regeln, die aus der universellen Grammatik abgeleitet werden. Chomsky unterscheidet dabei zwischen zwei Arten von Regeln: den «Transformationsregeln» sowie den «strukturellen Regeln». Transformationsregeln sind Regeln, die es ermöglichen, aus einem Satz einen anderen zu generieren, indem sie die Struktur des Satzes verändern. Beispielsweise kann eine Transformation wie die Passivierung angewendet werden, um einen Satz wie «Der Hund beißt den Mann» in «Der Mann wird vom Hund gebissen» umzuformen. Strukturelle Regeln legen dabei fest, wie Wörter in einem Satz angeordnet werden müssen und welche Funktionen sie haben. – Chomskys Sprachkonzept schliesst daher aus, dass die menschliche Sprachfähigkeit durch Imitation oder Memorierung von Sätzen erworben wird, sondern durch die Anwendung von Regeln. Kinder lernen die Regeln ihrer Sprache, indem sie Beispiele hören und diese Regeln induktiv aus ihnen ableiten.

Seine vom mathematischen Denken geleitete Lehre, dass die Grundstrukturen aller Sprachen gleich seien und der menschliche Sprachgebrauch komplexen syntaktischen und logischen Regeln folge, bildet das Kernstück seiner «Universalgrammatik». In ihrer Wirkung blieb sie nicht auf die Linguistik beschränkt. Sie war auch eine Stellungnahme innerhalb eines philosophischen Streits, der bis in die Zeit der beginnenden Aufklärung zurückging. Schon im frühen 17. Jahrhundert hatte René Descartes die Auffassung vertreten, dass die Fähigkeit, in Begriffen zu denken, angeboren sei. Chomsky hat diesen «cartesianischen Rationalismus» ins 20. Jahrhundert transformiert.

Natürlich bleiben offene Fragen: Selbst wenn Chomsky Recht hat und es eine Universalgrammatik gibt, dann ist zum Beispiel immer noch nicht erklärt, warum Kinder so leicht Sprachen lernen und warum es uns nach der Pubertät so viel schwerer fällt. Beim Erwerb anderer Fähigkeiten ist dieser Bruch jedenfalls nicht so stark. Klar ist in diesem Zusammenhang aber auch, dass die Frage, wie unser Gehirn am besten lernt, sich fundamentalphilosophisch nicht beantworten lässt; andernfalls müsste das Gehirn ja dazu in der Lage sein, sich beim Lernen selbst zuzusehen. Ebenso wenig wie Kant erklären kann, was die Vernunft ausmacht, weil der Teil der Vernunft, der die Vernunft erklärt, sich nicht zugleich miterklären kann, kann Wittgenstein nicht erklären, was man unter Sprache zu verstehen hat, weil wiederum der Teil der Sprache, der die Sprache zu erklären versucht, sich nicht zugleich miterklären kann. Gleiches gilt für die «Generative Transformationsgrammatik» von Noam Chomsky. Phänomene wie »Geist«, »Sprache« oder »Vernunft« lassen sich nicht hintergehen, als wären es gewobene Teppiche, deren Webart sich dadurch ausmachen lässt, indem man den Teppich umdreht. Für den Hausgebrauch lassen sich vielleicht auf empirischem Weg gewisse Strukturen oder Bedingungen herausschälen, die es einem zu verstehen erleichtern, unter welchen Voraussetzungen das Gehirn sich am einfachsten eine neue Sprache merken kann. Fundamental ist die Frage jedoch nicht zu beantworten, daran ändern auch die vielen Publikationen Noam Chomskys nichts, um die weissen Flecken in der Theorie der generativen Grammatik zu füllen.

Christoph Frei, Akademisches Lektorat, CH-8032 Zürich

Bild:
Noam Chomsky
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The Concept of Language (Noam Chomsky)