Der Mensch und seine Sprache

Lernen Kinder eine Sprache, ist man verblüfft, mit welch grosser Leichtigkeit sie sich Wortschatz und Grammatik aneignen. Dieser Prozess wurde viele tausend Male beobachtet, aber die Wissenschaft konnte sich lange Zeit nicht erklären, wie genau der Spracherwerb vor sich geht. In der Mitte des 20. Jahrhunderts waren sich namhafte Sprachwissenschaftler einig darüber, dass kleine Kinder nur imitieren, was sie von den Erwachsenen vorgesprochen bekommen. Diesen Behavioristischen Ansatz konnte der amerikanische Sprachwissenschaftler Noam Chomsky nicht bestätigen. Seine Forschungen wiesen in eine andere Richtung. Weil sich jeder Satz auf unterschiedliche Weisen äussern lässt und Heranwachsende auch Sätze verstehen, die sie zuvor nie gehört haben, vermutete Chomsky eine Universalgrammatik mit unveränderlichen Mechanismen, die jeder konkreten Sprache zugrunde liegt. Dargelegt ist die Theorie in der sogenannten «generativen Transformationsgrammatik», einem rationalistischen Ansatz, dem Chomsky mehrere Untersuchungen gewidmet hat. Anders ausgedrückt, lässt sich der Spracherwerb nicht allein empirisch erklären. Sprache ist vielmehr ein Werkzeug der Kreativität. Sie erlaubt es uns, neue Ideen zu entwickeln, Innovationen voranzutreiben und komplexe Konzepte zu erfassen. Aus diesem Grund kann es auch keine theoretisch abbildbare Form der Kreativität geben.

Bereits Ende des 16. Jahrhunderts postulierte der spanische Arzt Juan Huarte eine Fähigkeit des Verstandes der Menschen, Dinge auszusprechen, die sie nie zuvor gesehen oder gehört haben. Diese Fähigkeit kann man als kreativen Aspekt sprachlicher Äusserungen bezeichnen. Die Sprache, das haben Wissenschaftler und Philosophen in den letzten Jahrhunderten festgestellt, unterscheidet den Menschen vom Tier. Selbst Schwachsinnige besitzen eine grundlegende Sprachbeherrschung, die den Tieren fehlt. Dies ist ein Indiz dafür, dass die Sprache keinesfalls das Ergebnis äusserer oder innerer Anreize ist, also nicht durch das Abarbeiten irgendwelcher Muster erklärt werden kann, sondern eine gänzlich eigene Qualität besitzt. Menschen beherrschen ihre Sprache ohne Stimuli und können kohärent sprechen. Die Fähigkeit zur Sprache ist also eng mit unseren kognitiven Fähigkeiten verknüpft. Die Entwicklung von Sprache erfordert komplexe Denkprozesse wie das Lernen von Wörtern, Grammatik und die Fähigkeit, Informationen zu organisieren. Dies trägt zur Entwicklung des Gehirns bei und macht den Menschen zum intelligenten Lebewesen, das wir kennen.

Erstmals erklärt und formalisiert wurde dieser Prozess durch die Cartesianische Grammatik aus dem Kloster Port-Royal in der Nähe von Paris, entstanden in der Mitte des 17. Jahrhunderts. Diese Grammatik beschäftigte sich mit der Phrasenstruktur von Sätzen. Die Oberflächenstruktur des Satzes wurde so sichtbar gemacht, denn der Satz wurde in immer kleiner werdende Phrasen zerteilt, bis hin zum einzelnen Wort. Immer wenn ein Satz artikuliert wird, ist gleichzeitig das Weltwissen des Zuhörers gefragt. Dadurch wird der meist ambivalenten Aussage ein Sinn verliehen. Dies wurde in der Grammatik von Port-Royal zumindest schon in Grundzügen erforscht. Dabei gelangte der französische Philosoph René Descartes zur Einsicht, dass Automaten, wie komplex sie auch sein mögen, bestimmte Leistungen des menschlichen Geistes niemals erbringen können. Descartes nahm eine zweite Essenz an, die für das Denken zuständig ist und die neben dem Körper eine eigene Qualität hat: die so genannte «res cogitans», also die «denkende Sache» oder die «denkende Substanz». Jede Form von kreativem Sprechen ist etwas spezifisch Menschliches, das von einer Maschine nicht zur Gänze nachgeahmt werden kann. (Auch nicht von ChatGPT, dem Chatbot, der die künstliche Intelligenz einsetzt, um mit Nutzern über textbasierte Nachrichten und Bilder zu kommunizieren.) Aus diesem Grund geht Descartes davon aus, dass die Fähigkeit zum Sprachgebrauch das sicherste Anzeichen dafür ist, dass ein Körper einen menschlichen Geist besitzt, ein Sachverhalt, der später von Wilhelm von Humboldt bestätigt wird: «Der Mensch ist Mensch nur durch die Sprache.» Damit bestimmt er die Sprache als eine herausragende anthropologische Qualität, die es dem Menschen ermöglicht, Gedanken, Ideen, aber auch Emotionen und Informationen zu teilen.

Kreativität ist somit ein Begriff, der die Fähigkeit eines Individuums beschreibt, neue Ideen, Konzepte oder Lösungen zu generieren. Digitalität hingegen bezieht sich auf die Integration von digitalen Technologien und Informationen. Ein wichtiger Unterschied zwischen Kreativität und Digitalität besteht darin, dass Kreativität in erster Linie eine menschliche Fähigkeit ist, während Digitalität eng mit Technologien verbunden ist. Kreativität erfordert menschliche Intelligenz, während Digitalität auf Algorithmen, Programmierung und Hardware basiert. Menschen können kreativ sein, indem sie ihre eigenen Ideen entwickeln, während Digitalität darauf angewiesen ist, dass Menschen Technologie nutzen, um Aufgaben zu erledigen oder Informationen zu verarbeiten. Kreativität ist somit subjektiv, während Digitalität auf objektiven Daten basiert. Kreativität wird von Person zu Person unterschiedlich bewertet, da sie stark von kulturellen Einflüssen beeinflusst wird. Ein Kunstwerk kann für eine Person kreativ sein, während es für eine andere Person weniger beeindruckend ist. Im Gegensatz dazu basiert Digitalität auf quantifizierbaren Daten und Fakten. In der digitalen Welt lässt sich der Erfolg einer Website anhand von Klickzahlen, Likes und Shares messen.

Insgesamt sind Kreativität und Digitalität zwei unterschiedliche Konzepte, auch wenn sie miteinander interagieren können. Die Digitalisierung eröffnet neue Möglichkeiten, kreative Ideen zu teilen und zu verbreiten, sei es in Form von digitalen Kunstwerken, Musik oder Videos. Demgegenüber kann die Kreativität dazu beitragen, digitale Lösungen und Innovationen zu entwickeln. In einer sich wandelnden Welt sind die Unterschiede und die Wechselwirkungen zwischen Kreativität und Digitalität zu begreifen. Beide Konzepte spielen eine wichtige Rolle in unserer Gesellschaft und beeinflussen, wie wir arbeiten, kommunizieren und unser Leben gestalten. Nur indem wir diese Unterschiede verstehen und nutzen, können wir unsere kreativen Fähigkeiten als auch die digitale Technologie nutzen, um innovative Lösungen und Ideen zu fördern.

Christoph Frei, Akademisches Lektorat, CH-8032 Zürich

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davidharber.com
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