DIE BEDEUTUNG DER #SPRACHE FÜR DAS MENSCHLICHE #DENKEN

Wilhelm von Humboldt, der deutsche Gelehrte des 18. und 19. Jahrhunderts, ist für seine Arbeit in den Bereichen Sprachwissenschaft, Bildung und Philosophie bekannt. Eine seiner wichtigsten Ideen ist die Bedeutung der Sprache für das menschliche Denken und Bewusstsein. Entsprechend schreibt er in seiner Abhandlung «Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaus» bezüglich der Form der Sprache Folgendes: «Die Sprache ist etwas beständig und in jedem Augenblicke Vorübergehendes. Selbst ihre Erhaltung durch die Schrift ist immer nur eine unvollständige, mumienartige Aufbewahrung, die es doch erst wieder bedarf, dass man dabei den lebendigen Vortrag zu versinnlichen sucht. Sie selbst ist kein Werk (Ergon), sondern eine Thätigkeit (Energia). Ihre wahre Definition kann daher nur eine genetische sein. Sie ist nämlich die sich ewig wiederholende Arbeit des Geistes, den artikulierten Laut zum Ausdruck des Gedankens fähig zu machen. Unmittelbar und streng genommen, ist dies die Definition des jedesmaligen Sprechens; aber im wahren und wesentlichen Sinne kann man auch nur gleichsam die Totalität dieses Sprechens als die Sprache ansehen.» In nuce wird hier bereits der Gedanke von Noam Chomskys «Generativer Grammatik» angesprochen, der nachzuweisen versucht, wie eine Sprache (in Humboldts Worten) «unendlichen Gebrauch von endlichen Mitteln» machen kann. Beide, sowohl Humboldt wie Chomsky, vertreten also die Ansicht, dass die Sprache nicht nur ein Instrument zur Kommunikation ist, sondern auch unser Denken und Bewusstsein prägt. So gesehen, beinhaltet jede Sprache ihre eigene Denkweise und beeinflusst somit auch die Art und Weise, wie wir die Welt sehen und verstehen.

Ein Beispiel dafür ist die Verwendung von Geschlechterpronomen in verschiedenen Sprachen. Vielen Sprachen kennen geschlechtsspezifische Pronomen wie «er» und «sie», während es in anderen Sprachen, wie dem Englischen, ein geschlechtsneutrales Pronomen «they» gibt. Diese Unterschiede können dazu führen, dass Menschen in unterschiedlichen Kulturen andere Vorstellungen von Geschlechterrollen entwickeln. Ein anderes Beispiel ist die Wahrnehmung von Farben. Einige Sprachen haben spezifische Wörter für Farben, die in anderen Sprachen fehlen. So hat die russische Sprache zwei verschiedene Wörter für das englische «blau»: «goluboy» für hellblau und «siniy» für dunkelblau. Forschungen haben gezeigt, dass russische Sprecher eine schnellere Unterscheidung zwischen den beiden Blautönen vornehmen können als englische, die nur ein Wort für «blau» kennen.

Da Struktur und Wortschatz einer Sprache das Denken und die Wahrnehmung einer Person vorzeichnen, lassen sich bestimmte Konzepte nicht erfassen, wenn es hierfür keine entsprechenden Wörter gibt. Ein Klassiker ist sicher die Eskimo-aleutische Sprachfamilie, die mehrere Wörter für Schnee kennt, um unterschiedliche Arten zu beschreiben. Dies führt dazu, dass Menschen, die diese Sprache sprechen, subtile Unterschiede im Schnee leichter erkennen als Menschen anderer Sprachfamilien.

Ausserdem kann die Art und Weise, wie verschiedene Sprachen Zeit ausdrücken, sich auf das Zeitverständnis auswirken. Im Hopi, einer nordamerikanischen indigenen Sprache, gibt es keine lineare Zeitform, sondern Ereignisse werden nach ihrer Bedeutung und Beziehung zueinander beschrieben. – («Ich komme, wenn der Mond gewechselt hat» statt «Ich komme in vierzehn Tagen.») – Diese Nicht-Linearität kann das Zeitverständnis beeinflussen und zu unterschiedlichen Vorstellungen von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft führen.

Die Verwendung von Höflichkeitsformen widerspiegelt unterschiedliche soziale Hierarchien. Beispielsweise haben einige Sprachen wie Japanisch spezielle Verbformen oder Pronomen, die verwendet werden, um Respekt und Wertschätzung auszudrücken. In solchen Gesellschaften führt dies zu einer stärkeren Betonung von Hierarchien und sozialen Beziehungen.

Als Beispiel, wie die Sprache die Wahrnehmung beeinflusst, wird häufig auch eine Begebenheit von Benjamin Lee Whorf, einem Vertreter der «Linguistischen Relativität», angeführt. Whorf arbeitete als Inspektor bei einer Versicherungsgesellschaft, bei der er Schadensfälle untersuchte. Ein Kessel, der zuvor Flüssigbrennstoff enthielt, war, wie er ausführt, mit der Aufschrift «leer» gekennzeichnet. Zur Explosion kam es, weil die Arbeiter nicht an die Möglichkeit dachten, dass ein leerer Behälter gefährlich sein kann. Das Wort «leer» hatte ihnen die Möglichkeit genommen, an eine Gefahr zu denken. Eine relevantere Information wäre gewesen: «Vorsicht! Kessel kann explosive Gase enthalten.»

Während früher angenommen wurde, dass die etwa 6000 Sprachen der Welt sich in ihrem grammatischen Aufbau zwar unterscheiden, diese Unterschiede jedoch nicht sehr weitreichend sind, hat die Erforschung auch kleinerer Sprachen gezeigt, dass teilweise drastische Unterschiede im Sprachaufbau existieren. Spätestens seit den 1990er-Jahren setzte durch die vermehrte grammatische Erschliessung auch aussereuropäischer Sprachen ein regelrechter Forschungsboom zur Frage ein, ob Sprache das Denken beeinflusse. Untersucht wurden dabei Unterschiede in der sprachlichen Konzeptualisierung von Zeit oder die Auswirkungen unterschiedlicher Numeralklassifikatoren. Dabei wird in den letzten Jahren vermehrt Wert auf psycholinguistische Verfahren gelegt, die mit nichtsprachlichen Tests arbeiten, um einem Zirkelschluss zu entgehen: Wenn Sprache Einfluss auf das Denken hat, muss diesem Gedankengang zufolge ein Experiment das Denken messen und darf nicht auf sprachlichem Input basieren bzw. sprachlichen Output messen. Insgesamt weisen empirische Belege darauf hin, dass tatsächlich eine solche Beeinflussung der Sprache auf das Denken stattfindet, auch wenn diese sich beim Lernen einer Fremdsprache relativ schnell abzubauen scheint.

Christoph Frei, Akademisches Lektorat, CH-8032 Zürich

Bild:
Wilhelm von Humboldt, 1767-1835
Gottlieb Schick, 1776-1812
Deutsches Historisches Museum, Berlin