DIE TARNKAPPEN-BOMBER DER #RHETORIK

Euphemismen sind die Tarnkappen-Bomber der Rhetorik. Auf den ersten Blick sind sie unsichtbar und wenn man sie erkennt, ist der Schaden oft schon angerichtet. Der Ausdruck Euphemismus geht zurück auf das Griechische «euphēmismós» als Bezeichnung einer unangenehmen, schlimmen Sache durch einen mildernden Ausdruck. Für viele ist der Euphemismus die Muttersprache der Manipulation. Das vordergründige Motiv ist die sprachliche Tarnung. Ein Beispiel aus der Literatur stammt aus der tragischen Komödie «Der Besuch der alten Dame» von Friedrich Dürrenmatt. Die Hauptfigur Claire Zachanassian kommt darin in ihre Heimatstadt Güllen zurück und bietet der verarmten Gemeinde die «Schenkung» von einer Milliarde an. Dies ist eine euphemistische Formulierung, da es sich nicht um ein Geschenk handelt. Das Geld wird allein dann an die Stadt gezahlt, wenn Claires ehemaliger Liebhaber Alfred Ill umgebracht wird. Derselbe Autor verwendet in den «Physikern» die Bezeichnung «privates Sanatorium» für eine psychiatrische Anstalt. In Patrick Süskinds Roman «Das Parfum» findet sich der Satz: «Sie war noch da, die unvergleichlich schöne Pflanze, sie hatte den Winter unbeschadet überdauert, stand im Saft, wuchs, dehnte sich, trieb prächtigste Blütenstände!» Freilich ist mit der unvergleichlich schönen Pflanze ein Mädchen gemeint, dem der Protagonist der Geschichte folgt. Besonderheit und Schönheit des Mädchens werden durch die Verwendung dieses Euphemismus aufgewertet. Bei Walther von der Vogelweide, dem bedeutendsten deutschsprachigen Lyriker des Mittelalters, findet sich im Minnesang «Under der linden» folgender Euphemismus für die Defloration, natürlich auch ein auch ein Euphemismus: «Under der linden / an der heide / dâ unser zweier bette was / dâ muget ir vinden /schône beide / gebrochen bluomen unde gras.»

«Klimaneutral» heisst ein anderer geläufiger Euphemismus. Wer etwas auf sich hält, egal ob aus Wirtschaft oder Politik, trägt das Wort im Wappen. Viele der Akteure drücken sich indessen um eine genauere Definition, und zwar aus verständlichen Gründen. So würde zum Beispiel eine klimaneutrale Wirtschaft genau so viel CO2 emittieren, wie von ihr wieder aufgenommen wird – zum Beispiel durch Pflanzen. Dass selbst Wein, Kaffeekapseln, Transportunternehmen oder Internet-Dienstleister mit dem Ausdruck «klimaneutral» beworben werden, muss einem zu denken geben. Im Grunde wird hier nämlich Schindluder mit dem Begriff getrieben, zum Schaden einer klimapolitischen Diskussion. Natürlich ist Klimaneutralität heute en vogue, auch wenn in der Regel irreführendes Marketing mit sogenannter CO2-Kompensation dahintersteckt, das dem Klima wenig nützt. Im Grunde ist «klimaneutral» ein Schulbeispiel für eine Verballhornung und bezeichnet als Phänomen innerhalb der morphologischen Sprachwissenschaft die absichtliche oder unbewusste Neubildung bekannter oder unbekannter Wörter und Redewendungen.

Eine weitere Verballhornung ist der Ausdruck «Sondervermögen» als Verschleierung von «Sonderschulden». Bei den Geldern, die dafür gebunden werden, handelt es sich deshalb um Schulden, weil sie abseits des eigentlichen Kernhaushalts verbucht sind. Der Ausdruck «Schattenhaushalt» ist treffender, da Sondervermögen immer auch die wahren Staatsschulden verschleiern, die mit einem Zinsdienst verknüpft sind und später getilgt werden müssen. Es ist also nicht so, dass die Mittel ohne entsprechende Verpflichtungen durch Zauberhand entstehen oder immer schon da waren, wie es der Begriff auf den ersten Blick vortäuscht. Auch das «Fiat-Geld» scheint zu suggerieren, dass Zentralbanken und Staatsregierungen unser aufgeblähtes Schuldgeldsystem über einen Goldesel bedienen. In Tat und Wahrheit bezeichnet Fiat-Geld jedoch eine Währung, die keinen inneren Wert hat, sondern nur durch staatliche Regelungen oder Gesetze als gültiges Zahlungsmittel akzeptiert wird. Anders als bei einer Währung, die durch einen physischen Wert wie Gold oder Silber gedeckt ist, basiert Fiat-Geld rein auf dem Vertrauen der Bevölkerung und der Autorität des ausgebenden Staates oder der Zentralbank. Fiat-Geld kann so leichter produziert werden, da es nicht an einen Rohstoff gebunden ist, was es flexibler in der Geldpolitik macht. Allerdings birgt diese Flexibilität auch das Risiko der Inflation und des Verlusts des Vertrauens der Bevölkerung in die Währung.

Christoph Frei, Akademisches Lektorat, CH-8032 Zürich

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