EIN PHILOSOPH GREIFT ZUM FEUERHAKEN

Die Geschichte, in der Ludwig Wittgenstein angeblich Karl Popper mit einem Feuerhaken bedrohte, hat ihren Ursprung in einem Treffen der beiden Philosophen vom 25. Oktober 1946 im Moral Science Club in Cambridge. Die Begegnung fand tatsächlich statt, und es wird behauptet, dass Wittgenstein während eines hitzigen Gesprächs zu einem Feuerhaken griff, um seine Argumente zu unterstreichen oder Popper zu beeindrucken. Die Deutung dieser Auseinandersetzung bleibt oft vage, und es gibt verschiedene Interpretationen darüber, was wirklich passiert ist. Einige Quellen betonen, dass Wittgenstein und Popper grundlegende Meinungsverschiedenheiten in ihren philosophischen Ansätzen hatten, vor allem im Hinblick auf die Natur wissenschaftlicher Methoden. Karl Popper schildert in seiner Autobiografie «Ausgangspunkte» sein erstes und einziges Zusammentreffen mit Ludwig Wittgenstein wie folgt: «Ich sagte, dass, falls es keine echten philosophischen Probleme gibt, ich sicher kein Philosoph sein möchte und dass meiner Meinung nach die einzige Rechtfertigung dafür, ein Philosoph zu sein, darin besteht, dass viele oder vielleicht sogar alle Menschen unhaltbare Lösungen für viele oder vielleicht sogar alle philosophischen Probleme gedankenlos akzeptieren. Wittgenstein sprang auf, unterbrach mich und sprach lange über Puzzles und über die Nichtexistenz philosophischer Probleme. In einem Augenblick, der mir geeignet erschien, unterbrach ich ihn und las eine von mir vorbereitete Liste philosophischer Probleme vor, wie etwa: Erkennen wir die Dinge durch unsere Sinne? Erlangen wir unsere Erkenntnis durch Induktion? Wittgenstein tat diese Probleme ab mit der Bemerkung, es seien mehr logische als philosophische Probleme. Daraufhin verwies ich auf das Problem, ob es nur potentielle oder vielleicht auch aktuale Unendlichkeiten gibt, ein Problem, das er als ein mathematisches Problem abtat. Daraufhin nannte ich moralische Probleme und das Problem der Gültigkeit moralischer Regeln. An diesem Punkt sagte Wittgenstein, der beim Feuer sass und nervös mit dem Schürhaken gespielt hatte, den er gelegentlich wie einen Dirigentenstab benutzte, um seine Behauptungen zu unterstreichen: ‘Geben Sie ein Beispiel für eine moralische Regel! ’ Ich erwiderte: ‘Man soll einen Gastredner nicht mit einem Schürhaken bedrohen.’ Darauf warf Wittgenstein ärgerlich den Schürhaken hin, stürmte aus dem Raum und schlug die Türe hinter sich zu.»

Insgesamt bleibt die Episode zwischen Wittgenstein und Popper ein faszinierendes Kapitel in der Geschichte der Philosophie, das die persönlichen und intellektuellen Spannungen zwischen den einflussreichsten Denkern des 20. Jahrhunderts illustriert. Bemerkenswert ist auch die Fortsetzung beider Leben: Wittgenstein kannte bis zu seinem frühen Tod 1951 ausserhalb der Philosophie kaum jemand, aber er hat zwei philosophische «Schulen» begründet, von denen sich die eine auf sein Frühwerk, den «Tractatus logico-philosophicus», stützt, während die zweite mehr auf seinen späteren Werken beruht, die alle erst posthum veröffentlicht wurden. Popper hingegen ist alt geworden und wurde bereits zu Lebzeiten hoch geehrt. Er war ein Pragmatiker mit einem grossen Einfluss auf die zeitgenössische Wissenschaft und Politik. Allerdings lässt die Struktur seiner philosophischen Ansichten die Gründung einer Schule nicht zu, so dass man sich heute vermutlich eher an Wittgenstein als an Popper erinnert.

Um einen Eindruck zu bekommen, welche philosophischen Probleme neben den Biografien und rund um den Streit diskutiert werden, hier der Hinweis zu einem interessanten Thema: Im 18. Jahrhundert hatte der schottische Philosoph David Hume zum ersten Mal von dem Rätsel der Induktion gesprochen. Hume stellte die Frage, ob es einen vernünftigen Grund für die Annahme gebe, dass die Sonne morgen wieder aufgehe, nur weil sie dies bis jetzt jeden Tag getan habe. Nach Humes Ansicht verhält sich dies nicht so. Der Rückgriff beispielsweise auf die Naturgesetze würde lediglich zu einem Zirkelschluss führen. Wir glauben lediglich deshalb an die Naturgesetze, weil sie sich in der Vergangenheit als verlässlich erwiesen haben. Warum sollten wir davon ausgehen, dass Verlässlichkeit in der Vergangenheit eine Richtschnur für die Zukunft sein kann? Der gewichtigste Einwand gegen Poppers Werk lautet, dass er trotz seines Anspruchs daran gescheitert sei, Humes Problem der Induktion zu lösen. Seine Kritiker beharren darauf, Poppers Theorie könne keine zufriedenstellende Antwort auf die Frage geben, warum es nicht ratsam ist, vom Eiffelturm zu springen. Denn einerseits ist die Theorie, dass man durch die Erdanziehung in die Tiefe gerissen wird und am Boden aufschlägt, durch unzählige Unfälle und Selbstmorde geprüft. Aber andererseits kann man hieraus, wie Popper selbst hervorhob, nicht logisch ableiten, dass dies auch beim nächsten Sprung zwingend geschehen wird. Man hat also nur dann Grund, nicht zu springen, wenn man der Überzeugung ist, die Vergangenheit sei eine Leitschnur für die Zukunft.

Aber auch Wittgensteins Sprachanalyse kann das Problem der Induktion nicht lösen. Philosophie ist eben nicht nur Sprache und wenn Theorie und Praxis nicht übereinstimmen, gilt immer das Primat der Praxis. Wir können mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass auch morgen die Sonne aufgeht, und wir springen nicht vom Eiffelturm. Andererseits können wir Bedingungen angeben, unter denen die Sonne nicht aufgehen wird, und es gibt manchmal auch Gründe, lieber von einem hohen Gebäude zu springen, als oben stehen zu bleiben.

Viele Philosophen wiesen später nach, dass der Ansatz Poppers teilweise auf induktive Schlüsse angewiesen ist. Während Popper zu Beginn seiner Karriere jegliche Art der Induktion ablehnte, konzedierte er gegen Ende seines Schaffens, dass es unter bestimmten Umständen eine pragmatische Rechtfertigung für die Induktion gibt. Nehmen wir zum Beispiel den Anwendungskontext der Medizin. Würde die Induktion abgelehnt, hätten sowohl Ärzte als auch Patienten ein Problem. Nach der Diagnose einer Krankheit wählen wir das Medikament, das in tausenden Fällen in der Vergangenheit zur Heilung geführt hat. Wir hoffen, dass die Zukunft sich so verhält wie die Vergangenheit und folgen einem induktiven Schluss. Würden wir in diesem Fall die Induktion ablehnen, müssten wir auf ein Medikament vertrauen, das noch nie getestet wurde. Auch wenn Popper das Induktionsproblem nicht zu lösen vermochte, scheint es daher ratsam, zwischen pragmatischer und theoretischer Induktion zu unterscheiden.

Christoph Frei, Akademisches Lektorat, CH-8032 Zürich

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