The #Medium is the #Message

Lessings «Laokoon» ist ein Eingriff in die kunsttheoretische Debatte seiner Zeit. Ausgehend von der Kritik an J. J. Winckelmanns «Schriften zur Kunst des Altertums» entwickelt Lessing eine Vorstellung der Möglichkeiten und Wirkungen von Literatur und Malerei. Aus historischer Sicht ist der Text äusserst interessant, ist er doch ein Meilenstein auf dem Weg zu einer modernen Kunstauffassung. Lessing interpretiert beispielhaft ein Kunstwerk der Antike, die Laokoon-Gruppe, die in den Vatikanischen Museen zu besichtigen ist. Er beschreibt dabei, wie der Künstler den «fruchtbaren Augenblick» gefunden hat, in dem eine ganze Geschichte besonders aussagekräftig zusammengefasst ist. Der Betrachter kann die Spannung im Geschehen nachempfinden, der Kampf ist in diesem Moment weder gewonnen noch verloren. Es ist eine ambivalente Situation. Lessing legt dar, dass bildende Kunst und Dichtung nicht miteinander vergleichbar sind, wie es bisher in der Tradition des Horaz-Zitats «ut pictura poesis» («ein Gedicht ist wie ein Gemälde») gefordert wurde. Er betont vielmehr, die Poesie ordne Worte «aufeinander folgend» in der Zeit, während Malerei und Bildhauerei Farben und Formen «nebeneinander» im Raum anordnen. Anders ausgedrückt, sollte die bildende Kunst nur Gegenstände darstellen, die Dichtung nur Handlungen. Hier also liegt der Unterschied zwischen Literatur und bildender Kunst. Malerei und Poesie können deshalb nicht nach den gleichen Kriterien bewertet werden. Die Poesie ist die weitere, umfassendere Kunst. Sie fordert mehr Einbildungskraft des Rezipienten, weil sie die Schönheit durch bewegte Handlungen zeigt. Die Malerei dagegen stellt die Schönheit durch Anordnung von Körpern im Raum dar.

Von hier aus ist es nur ein kleiner Schritt zu Marshall McLuhans Deutung der modernen Medien. Seine 1967 veröffentlichte Untersuchung «The Medium is the Massage: An Inventory of Effects» ist McLuhans meistverkauftes Werk, von dem annähernd eine Million Exemplare über den Ladentisch gingen. McLuhan adaptierte nach einem Druckfehler den Begriff «Massage», um die Effekte eines Mediums zu beschreiben, welches das menschliche Sensorium massiert (dt: Das Medium ist die Massage: Eine Bestandsaufnahme der Auswirkungen). De facto war der Titel ursprünglich die Folge eines Druckfehlers. Als das Buch vom Schriftsetzer zurückkam, lautete der Titel anstelle des ursprünglich beabsichtigten «The Medium is the Message» (Das Medium ist die Botschaft) nun «The Medium is the Massage» (Das Medium ist die Massage). Der Schriftsetzer hatte das «e» mit dem «a» verwechselt. Als McLuhan die Schreibweise sah, rief er aus: «Lasst es so! Es ist grossartig und genau richtig.»

Als Hauptaussage meint der Ausspruch, dass jedes Medium das menschliche Sensorium unterschiedlich massiert oder beeinflusst. Medien sind somit Erweiterungen unserer menschlichen Sinne, des Körpers und des Geistes. Im letzten Teil seiner Abhandlung beschreibt McLuhan Veränderungen in der Art, wie Menschen die Welt wahrnehmen und die Veränderungen dieser Wahrnehmungsweisen durch neue Medien. So neigen, um ein aktuelles Beispiel zu zitieren, die elektronischen Medien zur Verkürzung der Argumente, da praktisch jede und jeder Botschaften unendlich oft vervielfältigen kann und darum auch der Versuchung unterliegt, es mit der Wahrheit nicht so genau zu nehmen, solange die Aussage nur für ihn stimmt. Dies lässt einsehen, warum wir heute von «Fake News» sprechen, Nachrichten, die bewusst so gedreht und gewendet werden, bis sie mit dem Opportunitätsstreben des Senders übereinstimmen. Entsprechend antwortet der naive Primaner, wenn er gefragt wird, ob er seine Thesen auch belegen könne: «Ich habe es aus dem Internet.» Das Internet ist für ihn gleichsam DIE AUTORITÄT, der er blind vertrauen kann, da er noch nicht gelernt hat, die Qualität einer Quelle auch zu überprüfen. Neue Technologien, vor allem auf dem Feld der Massenkommunikation, bewirken, unabhängig von ihren Inhalten, eine Veränderung der Wahrnehmung und des Denkens. Sie stellen neue Wirklichkeiten her. Heute zumeist in digitaler Form. Im Sinne McLuhans formen wir so unser Werkzeug und danach formt unser Werkzeug uns selber. Es lässt uns vor allem schneller werden, mit ein Grund, warum es heute Bücher so schwer haben, ihr Publikum zu finden.

Neue Technologien bewirken also eine Veränderung der Wahrnehmung und des Denkens, indem sie neue Wirklichkeiten generieren. «Wir formen unser Werkzeug, und danach formt unser Werkzeug uns.» McLuhan erklärte damit, dass die Struktur eines Mediums auch die Inhalte beeinflusst. Nicht die Inhalte bestimmen die Medien, sondern die Form strukturiert die Inhalte. Medien sind keine neutralen Werkzeuge, sondern prägen die Gesellschaft, indem sie die Form des menschlichen Zusammenlebens gestalten und steuern.

Natürlich richten sich auch Webseiten nach den neuen Rezeptionsformen. So beträgt die durchschnittliche Verweildauer, mithin die Zeitspanne für den Aufenthalt eines Internetnutzers auf einer Webseite, nur gerade 5 bis 7 Sekunden. Kein Wunder, dass sich in der Folge der Inhalt der Verpackung anpasst, was wohl auch der Hauptgrund ist, warum «Instagram», ein soziales Netzwerk mit Fokus auf Video- und Foto-Sharing, eine deutlich grössere Resonanz erzielt wie sein grosser Bruder «Facebook». Andererseits erzielt das Videoportal «TikTok» die nochmals grössere Reichweite als «Instagram», weil die Beiträge auf diesem Portal nochmals kürzer zu halten sind. Seit der Gründung gehört «TikTok» zu den am schnellsten sich verbreitenden mobilen Apps der Welt und wurde führende Kurzvideo-Plattform in Asien mit der weltweit größten Playback-Videogemeinde.

Der Satz «The Medium is the Message» hält demnach fest, dass Medien den Konsumenten in einer charakteristischen Weise in Anspruch nehmen. Ein Abschnitt eines Buches kann zum Beispiel nach Belieben wieder gelesen werden, während ein Film, um eine Sequenz in ihrer ganzen Länge nochmals zu sehen, wiederholt werden muss. Noch deutlicher zeigt sich, wie sehr der Inhalt sich dem Medium anpasst, wenn man sich die Vinylschallplatte aus den 60er-Jahren vergegenwärtigt. Das Format der 45er-Platten als Singles zwang die Künstler, Songs zu komponieren, die nicht länger als 4 Minuten dauern. Wie sehr dieses Paradigma nachgewirkt hat, zeigt sich unter anderem darin, dass Hits von Gruppen wie den «Rolling Stones» auch heute noch kaum viel länger als 3 oder 4 Minuten dauern. «Living In A Ghost Town» dauert genau 3:59, ist also nur unwesentlich länger als der Rock-Song «Satisfaction» aus dem Jahr 1965.

Christoph Frei, Akademisches Lektorat, CH-8032 Zürich

Bild:

Die Laokoon-Gruppe
Vatikanische Museen