WELCHE #SCHULE WOLLEN WIR?

Viele Kinder lernen in der Schule zu wenig oder das Falsche. Spätestens ab der vierten Klassenstufe sollten Schüler vernünftig rechnen, korrekt schreiben und sinnerfassend lesen können. Da der Schule ein umfassender Bildungsgedanke abhanden gekommen ist, fehlt ihr jetzt eine klare inhaltliche Ausrichtung. Seit vielen Jahren gibt es kaum mehr Diktate, keine Grammatik, keine Aufsätze und auch keine Teilnahme an den internationalen Känguru-Tests. Stattdessen beherrschen Phrasen den Bildungsdiskurs. In seinem scharfzüngigen Essay «Warum Schulen scheitern» erläutert der Gymnasiallehrer Tomas Kubelik viele der Irrwege in der Bildungspolitik und zeigt Gründe dafür auf, warum Schulen schon lange nicht mehr das leisten, was eigentlich ihre Aufgabe wäre. Aus der Sicht des Praktikers geht er dabei der Frage nach, worauf es beim Lernen wirklich ankommt und welche Erfahrungen jungen Menschen in der Schule auf keinen Fall vorenthalten werden dürfen. Im Grunde handelt es sich bei seinem Text um ein leidenschaftliches Plädoyer gegen die Oberflächlichkeit und für guten Unterricht. Entsprechend wenig hält er von der Klage, Kinder fühlten sich gestresst und von der Schule überfordert. Der überforderte Schüler ist aus seiner Sicht ein irreführender Mythos, denn Kinder leiden zumeist nicht unter schulischem Leistungsdruck als vielmehr, dass sie selten bis nie die Erfahrung machen durften, wie erfüllend es sein kann, sich für etwas zu engagieren, um schliesslich Erfolg zu haben. Der sogenannte Schulstress entsteht aus seiner Sicht also nicht durch überrissene schulische Anforderungen, sondern ist vielmehr Ausdruck einer ganz auf «Schmerzvermeidung» ausgerichteten Gesellschaft. Zu einem ähnlichen Ergebnis gelangte Katharine Birbalsingh, eine britische Lehrerin und Schulgründerin. Während ihrer Zeit als Lehrerin an verschiedenen Schulen in London sammelte Birbalsingh Lehr-Erfahrungen und entwickelte ihre Ansichten über das Bildungssystem. Sie bemerkte Unzulänglichkeiten und Herausforderungen, insbesondere im Hinblick auf Disziplin, niedrige Erwartungen und Bildungsungleichheit.

Im Jahr 2010 gründete Birbalsingh die «Michaela Community School» in London. Die Schule wurde dabei nach dem Vorbild traditioneller Bildungsinstitutionen gestaltet und legt grossen Wert auf klare Regeln und hohe Erwartungen. Ihr Ziel ist es, den Schülern eine sichere und strukturierte Lernumgebung zu bieten, in der sie ihr volles Potenzial ausschöpfen können. Sie stellt eine breite Basis an Wissen und akademischer Bildung in den Vordergrund und betont die individuelle Förderung der einzelnen Schüler. Durch klare Regeln und Erwartungen werden Schülerinnen und Schüler dazu ermutigt, Verantwortung für ihr Verhalten zu übernehmen und sich auf ihre Aufgaben zu konzentrieren. Indem sie den Schülern anspruchsvolle Ziele setzt und sie dabei unterstützt, diese zu erreichen, werden sie dazu ermutigt, ihr volles Potenzial auszuschöpfen. Hohe Erwartungen signalisieren den Schülern, dass sie in der Lage sind, Fortschritte zu erzielen und erfolgreich zu sein. Dies kann ihr Selbstvertrauen stärken und ihre Leistungsfähigkeit steigern. Birbalsingh wird dafür gelobt, dass sie den Wert von Wissen und akademischer Bildung akzentuiert. Sie argumentiert, dass ein solides Fundament an Wissen in verschiedenen Bereichen eine wichtige Grundlage für das lebenslange Lernen und den Erfolg im Leben bildet. Durch eine klare Fokussierung auf Wissensvermittlung werden Schülerinnen und Schüler dazu ermutigt, ihr Wissen zu erweitern und sich intellektuell weiterzuentwickeln. Ein weiterer positiver Aspekt von Birbalsinghs Erziehungsstil ist die individuelle Förderung. Befürworter betonen, dass Birbalsingh erkennt, dass jeder Schüler unterschiedliche Bedürfnisse und Lerngeschwindigkeiten hat. Indem sie den Unterricht differenziert und auf die individuellen Bedürfnisse jedes Schülers eingeht, können diese ihr volles Potenzial entfalten. Individuelle Förderung hilft, Lücken im Wissen zu schliessen und Schwächen zu überwinden. Des Weiteren wird Birbalsingh für ihren Einsatz für Bildungsgerechtigkeit gewürdigt. Sie setzt sich dafür ein, dass alle Schülerinnen und Schüler, unabhängig von ihrer sozialen Herkunft, Zugang zu einer qualitativ hochwertigen Bildung haben. Ihre Schulen versuchen, Bildungsunterschiede zu verringern und allen Schülern die gleichen Chancen zu bieten. Verfechter ihres pädagogisch-didaktischen Konzepts betonen die fachliche Expertise, ihren Einsatz für die Schüler und die Motivation, positive Veränderungen im Bildungssystem herbeizuführen.

Katharine Birbalsingh ist mit ihrer Arbeit und ihren Ideen zu einer wichtigen Figur in der Bildungsdebatte Grossbritanniens geworden. Unabhängig von der Meinung über ihre Ansichten, bleibt sie eine einflussreiche Figur, die weiterhin zur Diskussion über die Herausforderungen und Möglichkeiten im Bildungsbereich beiträgt.

Christoph Frei, Akademisches Lektorat, CH-8032 Zürich

Bild:
Steve McCurry

The Virtue of Traditional Education | Katharine Birbalsingh