Wer vergeigt wie und warum ein gutes Arbeitszeitmodell?

UND ERSTENS KOMMT ES ANDERS …

Im für Zürcher Gymnasiallehrer massgeblichen Mittelschulgesetz findet sich in § 11 Abs. 1 ein umfassendes Pflichtenheft für Mittelschullehrpersonen. «Zu den Pflichten der Lehrperson gehören insbesondere das Unterrichten der ihr anvertrauten Klassen und Gruppen gemäss Bildungsziel und Leitbild der Schule, die Beurteilung der Leistung und die Betreuung der Schülerinnen und Schüler, Elternkontakte, die Teilnahme an schulischen Veranstaltungen, die Übernahme zusätzlicher Funktionen und Aufgaben im Rahmen des Schulbetriebs und der Schulentwicklung sowie die Zusammenarbeit mit der Schulleitung und dem Lehrerkollegium.» Beim Pflichtenheft differenziert das Gesetz nicht nach Anstellungskategorien. Eine definierte Begrenzung der Arbeitspflicht fehlt im Gesetz. Mögliche Entlastungen und Entschädigungen werden nicht erwähnt. Die Bestimmungen in § 4 der Mittelschul- und Berufsschullehrerverordnung (MBVO) sind hierzu etwas präziser. «Mittel- und Berufsschullehrpersonen mbA übernehmen im Rahmen der Klassen- und Schulführung sowie der Schulverwaltung zusätzliche Aufgaben, wobei in der Regel ein Beschäftigungsgrad von mindestens 50% vorausgesetzt wird.» Der Wille des Gesetzgebers ist in diesem Zusammenhang unmissverständlich. Zusätzliche Aufgaben werden von den MLP mbA übernommen. Die Erfüllung von Zusatzaufgaben wird grundsätzlich pauschal abgegolten. Sie beinhalten Tätigkeiten, die nicht im Grundauftrag enthalten sind und von der Schulleitung an einzelne Lehrpersonen je nach deren Fähigkeiten und Präferenzen zugewiesen werden. Zum Zusatzauftrag gehören Arbeitswochen, Exkursionen, die Betreuung von Maturitätsarbeiten, Klassenlehrerstunden und Klassenlehrerfunktionen, die Betreuung von Sammlungen, die Organisation und Ausarbeitung des Stundenplans, die schulinterne Leitung von Projekten, aber auch die Organisation von Anlässen, das Konvents Präsidium sowie die Erteilung von Wahlpflichtfächern und die Übernahme von Mentoraten. Das Problem, welches sich hieraus ableitet, ist das Faktum, dass Lehrpersonen mit einem 100% Pensum ja nicht mehr als vollbeschäftigt angestellt werden können, was zur Folge hatte, dass diese sich die aus den Zusatzaufgaben ergebenden Mehrbelastungen auf ihrem Stundenkonto gutschrieben liessen und bei einem positiven Saldo diesen in Form von Entlastung oder Entschädigung wieder auf null zurückführten. Ganz im Sinne von «Einmal Arbeitszeit abheben, bitte!» bezog man einen längeren Sonderurlaub zu Weiterbildungszwecken, ein Sabbatical eben, oder man liess sich die angesparten Überstunden direkt auf sein Salärkonto auszahlen, um den Betrag zum Beispiel in die Pensionskasse einzuschiessen, damit man ihn nicht zu versteuern hatte.

… UND ZWEITENS ALS MAN DENKT

Entscheidend wurde das Thema «Einmal Arbeitszeit abheben» anlässlich der Generalversammlung des MVZ 2015. Diese beauftragte den Vorstand, einen Musterprozess zu finanzieren, welcher klären sollte, ob die massiven Ferienabzüge, welche die Bildungsdirektion auf Auszahlungen von Überschüssen auf dem Kontokorrent machte, rechtens seien. Die Frage wurde in der Folge vom Verwaltungsgericht zugunsten der Kläger entschieden. Genauer: Das Verwaltungsgericht hat im Hinblick auf die vom MVZ vorgetragene Klage bezüglich der Ausbezahlung von Überstunden entschieden, dass Überschüsse statt mit 40/52 mit 48/52 auszubezahlen sind, da Mittelschullehrpersonen nur 4 Wochen Ferien im Jahr beziehen; der Rest ist unterrichtsfreie Zeit. – Für den MVZ eine wichtige Klarstellung und ein wesentlicher Schritt in die Zukunft. Freilich wurde von den meisten zu wenig bedacht, dass bei der Abarbeitung der Klage deutlich wurde, wie gross, ja exzessiv die angesparten Überschüsse bei manchen Kolleginnen und Kollegen waren. Was manche Mittelschullehrpersonen mittlerweile perfekt beherrschen ist Jammern und Klönen. Sie Klönen und Jammern, weil sie mit der Arbeitsüberlastung an Grenzen stossen und ständig überlastet sind. Allem Anschein zum Trotz scheinen sich manche unserer Berufsvertreter allerdings recht gut in dieser dauernden Überbelastung eingerichtet zu haben. Wie anders lässt es sich erklären, wenn plötzlich Stundenkonti mit Überschüssen von bis zu 20 Jahresstunden ans Tageslicht gezerrt wurden. Einmal Arbeitszeit abheben und für ein ganzes Schuljahr unbezahlten Urlaub einziehen, klingt fast zu gut, um wahr zu sein.

Exzess und Zügellosigkeit, es dauerte nicht lange, riefen Politiker auf den Plan, die dem schändlichen Treiben einen Riegel schieben wollten. Lorenz Habicher (SVP, Zürich), Hans-Peter Amrein (SVP, Küsnacht) und Jürg Sulser (SVP, Otelfingen) beauftragen am 18. März 2016 mit einem Postulat den Regierungsrat darzulegen, wie die bestehende Mehrarbeitszeit, Überstunden, Ferienguthaben und Dienstaltersgeschenke, inklusive der dafür vorhandenen Rückstellungen, je Leistungsgruppe bis Ende der laufenden KEF-Periode 2016 -19 um mindestens einen Drittel reduziert werden können. Im Wortlaut wird der politische Vorstoss folgendermassen begründet: «Mit der Beantwortung der Anfrage KR-Nr. 359/2016 wurden die Daten der aktiven Anstellungsverhältnisse per Ende 2016 dargelegt. Die Summe der Rückstellungen in den Direktionen und der Staatskanzlei beläuft sich demnach auf über 115 Mio. Franken. Es zeugt von einer schwachen Personalführung der Regierung, dass sich eine entsprechende Altlast anhäufen konnte, ohne dass konkrete Gegenmassnahmen ersichtlich sind. In seinem Bericht soll der Regierungsrat Möglichkeiten und konkrete Umsetzungsmassnahmen darlegen, wie das gesteckte Ziel einer nachhaltigen Reduktion erreicht werden kann.»

Im Beschluss des Kantonsrates zum Postulat KR-Nr. 86/2017 betreffend der Reduktion geleisteter Mehrarbeitszeit und Abbau der damit verbundenen Rückstellungen ist zu lesen, dass rund 70% aller Rückstellungen für Zeitguthaben auf den Konten für Lehrpersonen in Mittel- und Berufsfachschulen eingestellt werden. «Die geltende, mit Verfügung der Bildungsdirektion festgelegte Regelung», heisst es wörtlich, «erlaubt eine Abweichung von den vereinbarten Lektionen um höchstens drei Jahreslektionen je fest angestellte Lehrperson. Die Kompensation von zu wenig geleisteten Lektionen oder der Abbau von mehr erbrachten Lektionen erfolgt mittelfristig (…) Um den Bestand der Rückstellungen für Stundenkonti um einen Drittel bzw. 18,4 Mio. Franken zu senken, wird die Bildungsdirektion die höchstens erlaubten drei Jahreslektionen auf zwei senken sowie allenfalls zusätzliche Abbaupläne vorsehen. Für die Umsetzung der Massnahme sind drei Jahre vorzusehen.»

DAS ENDE VOM LIED

Das Ende vom Lied ist ein Schreiben der Schulleitungen, das in dieser oder ähnlicher Form wohl an den meisten Zürcher Mittelschulen im Oktober und November 2017 die Lehrerschaft erreicht hat: «Wir sind verpflichtet, mit den Lehrpersonen, die einen Saldo von über sechs Jahresstunden aufweisen, einen Abbauplan über zwei Jahre zu vereinbaren. Möglich ist der Abbau durch weniger Unterricht bei gleicher Auszahlung, durch Urlaub, durch Einmalauszahlungen aus dem Stundenkonto und bei Teilzeitlern durch Erhöhung der Auszahlung. Neben der individuellen Vorgabe darf das Mittel aller Konti der unbefristet angestellten Lehrpersonen drei Jahresstunden nicht übersteigen.»

Leider beinhaltet eine neue Weisung der Bildungsdirektion in Zukunft eine deutlich verschärfte Stundenkontoregelung. So darf das Mittel der Konti über alle unbefristet angestellten Lehrpersonen nur noch 2 Jahresstunden betragen, wobei als zusätzliche Verschärfung bei der Berechnung neu auch die Beschäftigungsgrade der Lehrpersonen berücksichtigt werden müssen. Auch für die Festlegung des Maximums wird neu der Beschäftigungsgrad mit einbezogen: Die maximal zulässigen 6 Jahresstunden reduzieren sich proportional zum Beschäftigungsgrad. Die Schulleitung ist deshalb gezwungen, die Stundenkonti, dem Beschäftigungsgrad angepasst, weiter zu reduzieren bzw. sie entsprechend tief zu halten. Die Anpassung an die neue Regelung muss bis Ende Schuljahr 2018/19 vollzogen sein.

Für Vollzeitangestellte besagt dies im Klartext, dass künftig nur noch 6 Jahresstunden angespart werden dürfen, wodurch ein halbjähriges Sabbatical, etwa um einen an der Hochschule angebotenen Weiterbildungskurs zu besuchen, praktisch verunmöglicht wird. Wer zu 50 % angestellt ist, kann sich noch immer eine Auszeit gönnen, doch kommt er mit den angesparten 3 Jahresstunden nicht besonders weit, um mal auszusteigen und Luft zu holen.

Natürlich geht es dabei um mehr als um ein einzelnes Sabbatical, bei dem die überarbeitete Lehrperson für drei Monate den Jakobsweg abschreitet und voller Tatendrang wieder an die Schule zurückkehrt. Im Laufe des Lebens haben Menschen zu verschiedenen Zeiten unterschiedliche Bedürfnisse. Ein junger Berufsanfänger ohne Familie hat vielleicht kein Problem damit, sein Stundenkonto zu überziehen; junge Väter und Mütter hingegen würden vielleicht gern ein paar Jahre lang nur 70 oder 80 % arbeiten. Sind die Kinder größer, ist wieder mehr Zeit für die Arbeit – bis die eigenen Eltern hilfsbedürftig werden und mehr Aufmerksamkeit verlangen. Die Erwerbszeit an diese Lebensphasen anzupassen, ohne in Auszeiten auf das Gehalt verzichten zu müssen, ist nicht nur für Lehrpersonen eine attraktive Vorstellung. Dass die Idee, sich längerfristig Zeit anzusparen, scheiterte, ist, so besehen, mit Sicherheit keine Attraktivitätssteigerung des Arbeitsplatzes Mittelschule. Schuld tragen allerdings nicht die sogenannten Beamten der Bildungsdirektion, sondern Gymnasiallehrerinnen und Gymnasiallehrer, die sich mit überzogenen Begehrlichkeiten selber ins Knie geschossen haben.

Christoph Frei, Akademisches Lektorat, CH-8032 Zürich